Einen Negativrekord wird es 2015 nicht geben, doch der generelle Abwärtstrend beim Rückgang des Meereises hat sich bestätigt. 4,35 Millionen Quadratkilometer waren Anfang September mit Eis bedeckt. Lediglich 2012 gab es weniger Eis (3,4 Mio.), berichtet das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeresforschung (AWI). Auch in diesem Sommer ist eine Schiffspassage über die weitestgehend eisfreie Nordost- und Nordwestpassage möglich.

Der zuletzt starke Rückgang des Meereises in Verbindung mit der Wertsteigerung und Knappheit von Öl und Gas lässt eine künftige Erschließung der Ressourcen sowie den Ausbau der Schifffahrt in dieser Region erwarten. Allerdings hängt der Ausbau dieser Aktivitäten auch stark vom Ölpreis auf dem Weltmarkt ab. Die geschätzten kommerziellen Investitionen liegen laut einer von der Europäischen Union geförderte Studie  ACCESS - Arctic Climate Change, Economy and Society bei 100 Milliarden US-Dollar für das kommende Jahrzehnt.

Die zunehmenden menschlichen Aktivitäten erhöhen die Gefahr eines potenziellen Ölunfalls und einer damit verbundenen Ölpest. Das gilt sowohl für die Förderung von Öl und Gas als auch für alle Arten des Schiffsverkehrs, sei es Zubringer-, Passage-, Passagier- oder Fischereischifffahrt. In den vergangenen Jahren hat bereits eine Zunahme der Nutzung der Nordostpassage in eisfreien Sommern stattgefunden. Die Auswirkungen eines Ölunfalls wären immens.

Was sagt die Wissenschaft?

Im Projekt ACCESS wurden wissenschaftliche Fragen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt des Arktischen Ozeans und seine Nutzung durch den Menschen bearbeitet. Hierbei ging es um Öl- und Gasförderung, Fischerei und arktische Schifffahrt.

Die Nordwest- und Nordostpassage sind im Vergleich zur Route durch den Suez- und Panamakanal für die Schifffahrt aufgrund der Einsparung von bis zu 40 Prozent der Strecke sehr interessant. Im August 2008 konnten erstmals beide Strecken zeitgleich befahren werden. Für die Zukunft wird eine Steigerung der marinen Aktivitäten vorausgesagt. Problematisch ist hierbei ein noch unzureichender Ausbau des SAR (Search And Rescue) Systems bzw. der Möglichkeiten zur Ölunfallbekämpfung. Auch fehlen erfahrene Schiffsführer in der Eisfahrt, sowie eine ausreichende Kartierung vieler Meeresgebiete entlang der Routen. Vor allem die Bekämpfung eines Ölunfalls ist auf Grund der riesigen Entfernungen und der Eisbedeckung ein schwieriges und teures Unterfangen.

Wie breitet sich Öl in der Arktis unter dem Eis aus?

Wenn Öl in der Wassersäule freigesetzt wird, steigt es in Richtung der Wasseroberfläche in einer kegelförmigen Fahne auf. Das steigende Öl ist instabil und bricht in kleine kugelförmige Teilchen von etwa 1 cm Durchmesser oder weniger. Bei Erreichen der Eisunterseite fließt das Öl in Richtung Regionen mit dünnerem Eis, sammelt bzw. häuft sich in miteinander verbunden Vertiefungen an und breitet sich aus.

Das genaue Verhalten des Öls hängt sehr von den Eis- und Wetterbedingen vor Ort zum Zeitpunkt des Unfalles ab. Je weniger Eis vorhanden ist, desto größer wäre das vom Öl betroffene Gebiet. Andererseits kann das Öl nach einem Unfall vom Eis eingeschlossen und nach Verdriftung später an anderer Stelle wieder freigesetzt werden, wo es dann das Meerwasser verschmutzt.

Worin liegen die besonderen Risiken eines Ölunfalls in der Arktis im Vergleich zum offenen Ozean?

Ölunfälle sind im arktischen Bereich durch die harten Umweltbedingungen sehr viel schwerer zu bekämpfen als anderswo. Gründe hierfür liegen in den extremen Temperaturen, starken Winden, hohem Seegang, monatelanger Dunkelheit und vor allem am Meereis. Das Öl muss gegebenenfalls unter dem Eis, im Eis, auf dem Eis und/oder im Wasser rund um das Meereis lokalisiert werden können. Zudem treibt Öl auf der Wasseroberfläche immer in Windrichtung, während Öl unter oder im Eis sich immer mit dem Eis bewegt. Die Folge sind unterschiedliche Geschwindigkeiten und Richtungen im Vergleich zum Öl im offenen Wasser. Jede Eisscholle hat außerdem eine unterschiedliche Oberflächenstruktur und jede Einzelne bewegt sich entsprechend unterschiedlich. Die Herausforderung für die Erstellung von passenden Modellen ist groß. Zudem sind die lokalen Wettervorhersagen, die den Windantrieb für die Ausbreitungsmodelle liefern, in der Arktis nicht gut genug, weil die entsprechenden Messdaten fehlen, wie sie etwa für Europa existieren.

Im Projekt ACCESS wurden u.a. Simulationen von Ölunfällen (Blowout, Tankerunglück und Leck in einer Unterwasser-Ölpipeline) in der Arktis und deren Auswirkungen am Computer durchgeführt. Dabei legten die Wissenschaftler heutige und mögliche zukünftige Bedingungen mit weniger Meereis und höheren Temperaturen zugrunde.  Eine verringerte Eisbedeckung in der Zukunft hätte unter anderem eine weitere Ausbreitung des Öls zu Folge, und damit wären auch mehr Küstenregionen betroffen als wenn der gleiche Unfall heute stattfände.

Die möglichen Szenarien im Falle eines Ölunfalls in der teilweise eisbedeckten Arktis sind abhängig von der Jahreszeit und darüber hinaus in den jeweiligen lokalen Gegebenheiten außerordentlich vielfältig. Viele Untersuchungen konnten nur unter Laborbedingungen gemacht werden. Da realistische Experimente zur Ölausbreitung weitgehend fehlen, können Verfahren zur Entdeckung, Vorhersage und Bekämpfung der Ölausbreitung nach Ansicht der Wissenschaftler kaum in ihrer Qualität geprüft werden, und es bestehen noch sehr große Wissenslücken.

Dem ACCESS-Abschlussbericht zufolge sind des Weiteren die unterschiedlichen nationalen Vorschriften der Arktis-Anrainerstaaten zur wirtschaftlichen Nutzung der arktischen Gebiete problematisch. Innerhalb der 200-Seemeilen-Zone sind wirtschaftliche Aktivitäten den angrenzenden Küstenstaaten laut Vereinbarung der Vereinten Nationen erlaubt. Diese Zone umfasst in Ländern wie Norwegen, Kanada, USA, Russland und Grönland (Dänemark) auch Gebiete der Arktis. Einheitliche Regularien zum Beispiel bei der Bekämpfung eines Ölunfalls ist eine der Empfehlungen des Berichtes. Dies könnte etwa unter der Leitung des Arktischen Rates in Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden, Industrie, Kommunen, und Nichtregierungsorganisationen geschehen.

Text: Karl Dzuba (GFZ); fachliche Durchsicht und Ergänzungen Dr. Michael Karcher* (AWI)

*Karcher ist Ozeanograf und in der Sektion 'Meereis' am AWI tätig. In mehreren Arbeitsgruppen wurden im Projekt ACCESS diverse wissenschaftliche Fragen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt des Arktischen Ozeans und seine Nutzung durch den Menschen bearbeitet. 26 Partner aus 10 Ländern waren an dem Projekt beteiligt, Karcher war stellvertretender Koordinator bei ACCESS.

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