Die verheerendsten Hochwasser der vergangenen Jahre ereigneten sich im August 2002, sowie im Juni 2013 entlang von Elbe und Donau. Auf rund 22 Milliarden Euro summierte sich der Gesamtschaden* beider Ereignisse allein in Deutschland. Ähnlich schwer von Überschwemmungen getroffen wurde die Region in Baden-Württemberg entlang des Rheins und seiner Nebenflüsse zuletzt Anfang der 1990er Jahre.

Hochwasserereignisse werden durch ganz unterschiedliche meteorologische und hydrologische Situationen und Bedingungen ausgelöst, kaum ein Hochwasserereignis gleicht dem anderen. Um zu einem aussagekräftigen Hochwasserrisikomodell für die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen zu gelangen, wurde das Forschungsprojekt „FloRis“ (Flood Risk – Hochwasser-Risiko) als Verbundprojekt aus Meteorologen, Hydrologen und Hydraulikern am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des Karlsruher Instituts für Technologie initiiert. Während am Institut für Meteorologie und Klimaforschung ein eigenes Modell für die Simulation von Starkniederschlagsereignissen entwickelt wurde, führte das Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG) darauf aufbauende hydrologische und hydraulische Simulationen durch, die zur Entwicklung von Vulnerabilitätskurven führten. Eine wesentliche Neuerung gegenüber vergleichbaren Projekten ist die detaillierte Betrachtung der kompletten Prozesskette beginnend mit den meteorologischen Rahmenbedingungen für die Entstehung und die Verteilung von Starkniederschlägen bis hin zu den kleinräumigen Abflussdynamiken und Strömungsmustern von größeren und kleineren Flüssen und ganzen Flusssystemen.

Meteorologische Untersuchungen

Die Herausforderung für Hochwassersimulationen liegt darin, dass für die Vergangenheit Niederschlagsmessungen über einen längeren Zeitraum meist nur als Punktmessungen existieren. Diese bilden das Hochwasserereignis nicht in der gesamten Fläche ab, sondern zeigen immer nur Daten für den jeweiligen Messpunkt. Hinzu kommt, dass die Messstationen über den Raum nicht gleich verteilt sind. Insbesondere in Gebirgen finden sich Messstationen nur vereinzelt. Für eine quantitative Analyse der zu Hochwasser führenden Niederschlagsereignisse sind aber sowohl räumlich wie auch zeitlich hochaufgelöste Niederschlagsdaten unbedingt erforderlich. Nur dann sind repräsentative und belastbare Aussagen für Flusseinzugsgebiete oder ganze Flusssysteme möglich.

Eine weitere Hürde bei der Erforschung von Hochwasserereignissen: Die meisten Niederschlagsmessungen liegen nur für Zeiträume von mehreren Jahrzehnten vor. Aus Sicht der Meteorologen sind das viel zu kurze Zeitreihen. So kann nicht gewährleistet werden, dass auch tatsächlich alle denkbaren Extremereignisse erfasst sind. Eine robuste Risikoschätzung, die tatsächlich aussagekräftig ist, erfordert eine hinreichend große Anzahl von Extremniederschlägen. Nur so können zum Beispiel seltene Niederschlagsereignisse, die statistisch gesehen nur alle 200 Jahre auftreten, abgeschätzt werden. Um verlässliche Aussagen treffen zu können, sind große Stichproben, beispielsweise aus Simulationen über mehrere Tausend Jahre, notwendig.

Daher wurde im Rahmen des Projekts „FLORIS“ eine neue Methode zur stochastischen Simulation einer großen Anzahl hochaufgelöster (1 x 1 km²) Niederschlagsereignisse konzipiert. Stochastisch bedeutet hierbei, dass die einzelnen Ereignisse künstlich unter Berücksichtigung möglicher vorherrschender Umgebungsbedingungen erzeugt werden. Insbesondere die Gebirge rückten dabei stärker ins Visier. Zur Beschreibung der Niederschlagsbildung und -verstärkung über Gebirgen verwendet das Stochastische Niederschlagsmodell  SPM (Stochastic Precipitation Modell) einen linearen Ansatz. Weitere Prozesse, die für die Niederschlagsbildung oder –verstärkung relevant sind, wie Fronten oder eingelagerte Gewitter, werden linear dazu addiert.

Das neuartige Niederschlagsmodell basiert auf gemessenen Vertikalprofilen von Temperatur, Feuchte und Luftdruck. Da die meteorologischen Bedingungen im Jahresverlauf sehr unterschiedlich sind, werden die simulierten Niederschlagsereignisse entsprechend ihrer Jahreszeit getrennt. Außerdem fließen die Niederschlagsmessungen von Bodenstationen der 200 stärksten historischen Ereignisse jeweils separat für Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen ein.

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Übertragung des Modells auf andere Flusseinzugsgebiete möglich

Trotz der einfachen Parametrisierung der relevanten Niederschlagsprozesse sind die Simulationsergebnisse sowohl hinsichtlich der Niederschlagsmengen als auch der räumlichen Verteilungen sehr realistisch. Abbildung 1 zeigt anschaulich, wie sich Simulation und tatsächlich in der Vergangenheit beobachtete Niederschlagsereignisse gleichen. Die Unterschiede liegen zumeist im Bereich von nur wenigen Prozent, wobei auch die Messdaten insbesondere in gebirgigen Regionen mit Unsicherheiten behaftet sind. Gebietsniederschläge für ganz Baden-Württemberg oder für ausgewählte Flusseinzugsgebiete ergeben eine noch bessere Übereinstimmung zwischen Modell und Beobachtungen. Auch wenn die Differenzen für größere Wiederkehrperioden zunehmen, liegen sie noch immer innerhalb eines gesetzten Vertrauensbereichs.

Simulationen sollten auf historischen Beobachtungen beruhen

In einem zweiten Schritt wurden am Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG) die stochastischen Niederschlagsereignisse in stochastische Hochwasserszenarien überführt. Dazu wurden mithilfe der entsprechenden Hochwassergefahrenkarten (HWGK) die potentiellen Abflussmengen und Wiederkehrperioden pro Flusseinzugsgebiet berechnet und anschließend miteinander kombiniert. Damit ist es möglich, ein gebietsübergreifendes stochastisches Modell zu betreiben, und das ist einzigartig. Die bisher verwendeten Methoden basieren auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die nie gleichzeitig für alle Einzugsgebiete anwendbar sind.

Die Analyse historischer Ereignisse hat gezeigt, dass sich die Höhe der Abflüsse für verschiedene Wiederkehrperioden in den Teileinzugsgebieten deutlich von denen im übergeordneten Gesamteinzugsgebiet unterscheiden. An sich zeigen Ereignisse mit Wiederkehrperioden von 500 Jahren und mehr außergewöhnlich schwere Hochwasser an. Das Ergebnis der KIT-Analyse zeigt jedoch: In einigen Teilgebieten kann ein 100-jährliches Ereignis beispielsweise ein 500-jährliches für das gesamte Einzugsgebiet überschreiten. Nicht zuletzt deswegen ist ein Ansatz, der auf Beobachtungen beruht und diese einschließt, der einzige Weg, derartige Hochwasserereignisse und deren Schadenswirkung über viele Jahre hinweg realistisch zu untersuchen.

Wie die Gefährdung von Gebäuden berücksichtigen

Im letzten Schritt wurde konkret die Gefährdung von Gebäuden im Hochwassergebiet untersucht. Mit Hilfe innovativer Methoden schlossen die Forscher dabei bestehende Datenlücken, beispielsweise durch die Verwendung von Open Street Map. Zur Anwendung kam auch eine umfangreiche Sammlung an Informationen, die für die Vulnerabilitäts- und Schadenanalysen notwendig sind. Dazu gehören unter anderem Art und Nutzung der Gebäude oder Anzahl und Höhe der Stockwerke. Relevant sind des Weiteren die bereits zahlreich vorhandenen wasserbaulichen Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser wie zum Beispiel vorhandene Rückhaltebecken.

Um für die verschiedenen stochastischen Ereignisse die damit verbundenen Wasserstände und die Schadenverhältnisse miteinander zu verknüpfen, wurden historische Ereignisse weltweit untersucht und dabei über 200 mögliche Schadenfunktionen (Verhältnis von Wasserstand und Schaden) getestet. Zusätzlich wurde das unterschiedliche Verhalten von Flusshochwassern und Sturzfluten analysiert, die sich vor allem in Ereignisdauer, Fließverhalten und Anteil des Geschiebes, das heißt des mitgeführten Gerölls, erheblich voneinander unterscheiden. Auf diese Weise wurden der potentielle Schaden und die dazugehörige Wiederkehrperiode für jedes Ereignis ermittelt, um daraus den wahrscheinlich maximalen Schaden in PML-Kurven (Englisch: Probable Maximum Loss) und Schadentabellen zu erstellen.

Und die beste Nachricht zum Schluss: Eine Übertragung des stochastischen Niederschlagsmodells auf andere Flusseinzugsgebiete ist denkbar einfach. Durch geschickte Wahl der Eingangsdaten, beispielsweise aus Globalmodellen, können Niederschlagssimulationen auch in Gebieten mit wenigen oder fehlenden Messstationen gelingen. Die darauf basierenden Anschlussanalysen der Hydrologen und Risikomodellierer sind auf diese Weise ebenso möglich.

* inflationsbereinigt, bezogen auf das Jahr 2018.

Forschungssteckbrief

In einem fachübergreifenden Verbundprojekt am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurde ein neuartiger Ansatz entwickelt, mit dem das Risiko großräumiger Überschwemmungen in mehreren, gleichzeitig betroffenen Flusseinzugsgebieten abgeschätzt werden kann. Im Rahmen des Forschungsprojekts „FloRis“ (Flood Risk – Hochwasser-Risiko) wurde am KIT ein Hochwasserrisikomodell für die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen entwickelt, mit dem das Risiko, also der zu erwartende Schaden für eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, in diesen Regionen realistisch abgeschätzt werden kann. Die Arbeiten erfolgten in Kooperation mit der SV SparkassenVersicherung.

Quellen

  Ehmele, F. (2018): Stochastische Simulation großflächiger, hochwasserrelevanter Niederschlagsereignisse. Dissertation. Wissenschaftliche Berichte des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie, Band 76, KIT Scientific Publishing, Karlsruhe, Deutschland. Link

  Ehmele, F., Kunz, M. (2018): Flood-Related Extreme Precipitation in Southwestern Germany: Development of a Two-Dimensional Stochastic Precipitation Model. Hydrology Earth System Sciences 23(2). pp 1083-1102. Link

Weiterführende Informationen

  Weiterführende Informationen zum Projekt 'FloRiS' vom Center for Disaster Management and Risk Reduction Techology: FloRis: Bestimmung der Charakteristik hochwasser-auslösender Niederschläge in Südwestdeutschland und stochastische Simulation von Starkniederschlägen. Link

 

Text und Daten in Kooperation mit CEDIM. Das Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

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