Ungefähr 3,7 Prozent der Landfläche der Erde ist mit Seen bedeckt. Die meisten Seen befinden sich zwischen 45 und 75 °Nord, in den sogenannten borealen und arktischen Zonen. Hierzu gehören Sibirien, Kanada, Alaska und auch ein Teil Nordeuropas.

Wichtige Landschaftselemente

Seen sind klimarelevante Landschaftselemente, da sie eine große Rolle bei der Ablagerung von Kohlenstoffen spielen. Insbesondere sibirische Seen haben eine Doppelfunktion als Kohlenstoffspeicher und Kohlenstoffquelle. Einerseits wird Kohlenstoff von Wasserpflanzen, Plankton und Fischen in Seen sowie von Pflanzen, die rund um den See wachsen, erzeugt, und lagert sich in Sedimenten ab. Andererseits wird Kohlenstoff als CO2 freigesetzt, wenn organisches Material im See zersetzt wird.

Sibirische Seen sind auch für viele Tierarten sehr wichtig, insbesondere bieten Seen Rastplätze für Zugvogelarten. Große sibirische Seen sind außerdem eine wichtige Süßwasserquelle für Menschen; der Baikalsee beispielsweise enthält fast 20 Prozent des globalen Süßwassers.

Indigene sibirische Stämme wie die Jakuten nutzen seit jeher die zahlreiche Seen Jakutiens, die oft von Wildtieren wie Karibu besucht werden, um zu Angeln und zu Jagen. Große Raubtiere, wie der ostsibirische Braunbär (Ursus arctos collaris), profitieren von den vielen Fischen, die sich in den Zuflüssen und Abflüssen der Seen tummeln.

Diese Seen sind jedoch gefährdet. Die von Menschen verursachte Industrialisierung und der Klimawandel haben große Auswirkungen auf ihre Ökologie und verändern ihre Hydrochemie. Neue Forschungsergebnisse des Alfred-Wegener-Instituts und der russischen Kolleginnen und Kollegen heben die schädlichen Auswirkungen des Menschen auf die entlegensten und unberührtesten sibirischen Seen hervor, welche die zukünftige Funktion der Seen in der Landschaft gefährden könnten. Letztlich betrifft das auch Menschen (Biskaborn et al., 2021).

Sibirische Seen sind gefährdet

Aber was genau passiert mit den sibirischen Seen? Und wie genau wurden und werden sie vom Menschen beeinflusst? Frühere wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, wie luftgetragene Partikel (Aerosole) aus Schwefel- und Salpetersäure durch die Atmosphäre zu Flüssen und Seen transportiert werden können. Wenn diese Partikel in Seegewässern landen, können dieser zu einer sogenannten „Versauerung“ des Seewassers führen (Havens & Jeppesen, 2018). Diese Versauerung kann die biologischen Gemeinschaften in Seen erheblich beeinträchtigen und zu Veränderungen der Plankton- und Wasserpflanzengemeinschaften sowie im fortgeschrittenen Stadium zum vollständigen Verlust von Fischarten führen.

Der Niederschlag industriell hergestellter Schwermetalle wie Quecksilber aus dem Bergbau, das Verbrennen von Kohle in Kraftwerken sowie die Zement- und Metallproduktion können zur Kontamination und Verschmutzung von Böden um die Seen führen. Diese Schadstoffe landen schließlich auch im Seewasser, wo sie eine unmittelbare Gefahr für das aquatische Ökosystem darstellen können. Weil sich viele Seen im ostsibirischen Russland in Gebieten mit dauerhaften gefrorenen Böden – Dauerfrostboden – befinden, die derzeit aufgrund steigender Lufttemperaturen durch den globalen Klimawandel auftauen, werden sich die ökologischen Gefahren für Seen in der Zukunft noch verschlimmern.

Sedimentkerne vom Seeboden sind der Schlüssel

Um die Auswirkungen des Menschen auf sibirische Seesysteme zu untersuchen, entnahm ein Team aus russischen und deutschen Wissenschaftlern mehrere kurze Sedimentkerne aus einem der tiefsten und abgelegensten Seen in Jakutien, dem Bolshoe-Toko-See in Ostsibirien.

Sedimentkerne werden mit vertikalen Plastikrohren aus dem Seeuntergrund gestanzt. Das mit Rohr dringt mit einem Gewicht versehen bis zu 40 cm in den Seegrund ein und extrahiert die jüngsten Schlämme des Untergrunds. Die darin gespeicherten Sedimente sind sehr nützliche Archive und dienen der zeitlichen Rekonstruktion von biologischen und chemischen Veränderungen in Seen (Abb. 2). Diese Veränderungen können von einzelligen Algen wie Kieselalgen und Mallomonas aufgezeichnet werden, die sehr empfindlich auf Veränderungen der Seewasserbedingungen reagieren und somit wertvolle Informationen über die Wasserchemie und -temperatur infolge menschlicher Einflüsse und des Klimawandels liefern können. Die entnommenen, kurzen Sedimentkerne decken somit die letzte paar hundert Jahren inklusive der Industrialisierung ab.

Insbesondere die Messung von Schwermetallen einschließlich Quecksilber in Sedimentkernen kann Informationen über die Menge der vom Menschen und der Industrie verursachten Verschmutzung von Seen geben. Andere Messungen wie die in Sediment gespeicherte Menge an Stickstoff und Kohlenstoff können ebenfalls Hinweise auf den menschlichen Salpetersäureeintrag und die biologische Produktivität in Seen geben.

Besorgniserregende Erkenntnisse

Durch die Kombination verschiedener Analyseverfahren konnte gezeigt werden, wie sibirische Seen, welche tausende Kilometer von großen menschlichen Siedlungen entfernt liegen, auf menschlichen Einfluss reagieren. Beim Vergleich der Quecksilbermenge in Sedimenten aus der vorindustriellen Zeit und dem folgenden Zeitalter der Industrialisierung wurde festgestellt, dass der Quecksilbergehalt seit dem späten 19. Jahrhundert um den Faktor von 1,6 gestiegen war.

Da sich Quecksilber an Aerosolpartikeln anlagern kann, kann es in Luftströmungen große Entfernungen zurücklegen und sich weit entfernt von seiner Quelle wieder ablagern. Daher stammt der gemessene Anstieg wahrscheinlich von der Schwermetallbelastung, die sich aus der Ausweitung der Industrialisierung weiter Teile der Nordhemisphäre ergibt.

Schon während der Industrialisierung zeigten Stickstoffmessungen einen Anstieg, der mit dem Niederschlag von Salpetersäure, die auch von menschlichen Quellen stammt, aus der Atmosphäre zusammenhängen kann.

Bei der Betrachtung der Veränderungen in der Algengruppe der im Sediment konservierten Kieselalgen konnte festgestellt werden, dass die Zunahme der Anzahl kleiner Kieselalgentypen seit dem 19. Jahrhunderts wahrscheinlich mit dem Klimawandel und möglicherweise auch mit höheren Stickstoffmengen innerhalb des Seewassers zusammenhängt. Ein besonders wichtiges Ergebnis war der Befund reichlich vorhandener Algen der Mallomonas-Gattung während der Industrialisierung. Wenn Mallomonas in Seen zu finden sind, weist das im Allgemeinen auf Versauerung des Sees und auf Nährstoffanreicherung hin. Dies liegt daran, dass Mallomonas-Algen sinkende pH-Werte tolerieren können, was für Seen von der Größe des Bolshoe-Toko-Sees bedeutsam ist. Dieser Befund wurde außerdem durch den Nachweis der Abnahme der Menge solcher Algenarten gestützt, die alkalische Bedingungen bevorzugen.

Zusammenfassend gelang es dem Team, die Auswirkungen des globalen Klimawandels und der Erwärmung im fernen Sibirien sowie die zunehmende Säure- und Schwermetallversorgung aus industriellen Quellen im See zu identifizieren. Obwohl der Bolshoe-Toko-See sehr abgelegen ist, kennen die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Umwelt keine Grenzen und haben weitreichende Konsequenzen.

Referenzen

  Biskaborn, B. K., Narancic, B., Stoof-Leichsenring, K. R., Pestryakova, L. A., Appleby, P. G., Piliposian, G. T. & Diekmann, B. (2021). Effects of climate change and industrialization on Lake Bolshoe Toko, eastern Siberia. Journal of Paleolimnology, 65, 335-352. doi:10.1007/s10933-021-00175-z

  Havens, K. & Jeppesen, E. (2018). Ecological Responses of Lakes to Climate Change. Water, 10(7):917. doi:10.3390/w10070917

DOI
https://doi.org/10.48440/eskp.071

Veröffentlicht: 08.02.2021, 8. Jahrgang

Zitiervorschlag: Vyse, S., Biskaborn, B. & Diekmann, B. (2021, 08. Februar). Spuren der Industrialisierung und des Klimawandels in Sibirischen Seen. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 8. doi:10.48440/eskp.071

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