In den vergangenen Jahren ist das arktische Meereis im Sommer besonders stark zurückgegangen. Im September 2012 wurde ein neuer Negativrekord der arktischen Eisbedeckung aufgestellt und auch im September 2016 lagen die Werte deutlich unter dem Langzeitmittel der Jahrzehnte zuvor. Durch die schrumpfende Meereisdecke ändert sich einerseits das Wetter in der Arktis, andererseits werden die großskaligen Windsysteme beeinflusst, welche die ganze Erde umspannen. Dies hat Auswirkungen auf das europäische Winterwetter. Die Atmosphärenforschung am Alfred-Wegener-Institut (AWI) befasst sich mit der Untersuchung des globalen Klimas aus einer polaren Perspektive und leistet damit einen Beitrag, die physikalischen Prozesse hinter dem Wettergeschehen der vergangenen und kommenden Jahrzehnte zu verstehen.

Änderungen in der Arktis

Das Meereis unterliegt einem jährlichen Zyklus. Im Sommer werden die polaren Regionen direkt durch die Sonne erwärmt; das Eis taut ab. Im Herbst nimmt die Sonneneinstrahlung ab bis es im Winter in der Nähe der Pole sogar den ganzen Tag dunkel bleibt. Die Erwärmung bleibt aus und Eis kann sich neu bilden. In den letzten Jahren hat sich der Rückgang des arktischen Meereises in den Sommermonaten aufgrund höherer Temperaturen weiter intensiviert, auch weil die global beobachtete Erwärmung in der Arktis deutlich verstärkt ist. Dabei spielt die sogenannte Eis-Albedo-Rückkopplung eine wichtige Rolle: Der dunkle Ozean absorbiert mehr Sonneneinstrahlung als das helle Meereis. Je mehr Eis schmilzt, desto stärker werden Ozean und Atmosphäre erwärmt. Gleichzeitig wird aber auch das Abschmelzen des Eises zusätzlich unterstützt; die Effekte verstärken sich selbst. Die im Ozean gespeicherte Wärme wird in den folgenden Monaten an die Atmosphäre abgegeben. Das neu gebildete Eis ist darüber hinaus auch dünner als altes, mehrjähriges Eis. Somit wird der Wärmetransport aus dem Ozean in die Atmosphäre im Herbst und Winter durch das starke Abtauen im Sommer weiter begünstigt. „Unsere Daten zeigen für das letzte Jahrzehnt vor allem im Herbst und Winter deutlich erhöhte Temperaturen in den unteren Atmosphärenschichten der Arktis, welche mit der geringeren Meereisausdehnung in Zusammenhang stehen“, sagt Dr. Ralf Jaiser vom AWI über die Forschungsergebnisse.

Die bodennahe Erwärmung beeinflusst die Stabilität der Atmosphäre (Jaiser et al., 2012). Erwärmte Luft neigt eher als kalte dazu aufzusteigen. Die Entstehung und Ausbreitung von Tiefdruckgebieten wird dadurch begünstigt. Daraus resultierendes häufigeres Auftreten von Zyklonen (dynamischen Tiefdruckgebieten) und deren erhöhte Intensität wird durch Studien bestätigt (Stroeve et al., 2012). Dies verursacht unter anderem eine Veränderung der Niederschlagsmuster. Im Zusammenhang mit dem verstärkten Meereisrückgang zeigt sich also insgesamt eine Beeinflussung der lokalen Wettersysteme. Dies kann auch bisher unbeachtete Gefahren für die angestrebten verstärkten menschlichen Unternehmungen in der Arktis mit sich bringen.

Auswirkungen auf entfernte Regionen

Die Arktis ist eingebettet in das globale Klimasystem. Einflüsse von außerhalb wirken sich auf die Arktis aus, aber die Änderungen in der Arktis selbst beeinflussen auch die umliegenden und weiter entfernten Regionen. So lassen sich mit statistischen Methoden Zusammenhänge zwischen im Sommer zurückgehendem Eis und einer Veränderung der typischen Luftdruck- und Windmuster der Nordhemisphäre feststellen (Jaiser et al., 2012, 2013). Dabei wird nicht das Wetter einzelner Tage betrachtet, sondern der mittlere Zustand der Atmosphäre über mehrere Wochen.

Es lässt sich ein grundsätzlich zu den polaren Breiten hin abnehmender Luftdruck feststellen. Die Stärke dieses Luftdruckunterschieds variiert aufgrund natürlicher Ursachen und beschreibt die sogenannte Arktische Oszillation. Allerdings wird er auch von außen beeinflusst: In Jahren mit geringer Meereisbedeckung im Sommer tritt im darauffolgenden Winter ein im Mittel schwächer ausgeprägter Luftdruckunterschied zwischen mittleren und polaren Breiten auf. Da dieser den in den mittleren Breiten vorherrschenden Westwind antreibt, wird entsprechend auch weniger warme Luft vom Atlantik auf die Kontinente getragen. In Abhängigkeit von der konkreten Wetterlage steigt die Wahrscheinlichkeit für den Einbruch kalter Luftmassen aus Norden und Osten bis nach Mitteleuropa. Solche räumlich und zeitlich begrenzten Extremereignisse können zu Kälteperioden wie in den Wintern 2010/2011 und 2011/2012 führen, jedoch kehren sie nicht den Trend des allgemein wärmeren Klimas der letzten Jahrzehnte um.

Deutlich werden die Veränderungen auch in Sibirien. Ralf Jaiser: "In weiten Teilen Sibiriens tritt der paradoxe Fall auf, dass im Winter der Temperaturtrend regional und jahreszeitlich begrenzt tatsächlich negativ ist." Die Winter im letzten Jahrzehnt waren hier also tatsächlich etwas kühler als jene im Zeitraum zuvor, trotz des globalen Temperaturanstiegs und unabhängig davon, dass es auch in den anderen Jahreszeiten in Sibirien wärmer geworden ist. Auch hier liegt eine Verbindung mit den abgeschwächten Westwindsystemen aufgrund der abgeschwächten Luftdruckgegensätze im Zusammenhang mit der verringerten Meereisbedeckung im Sommer nahe. Weiterhin tritt eine Kombination aus früher Schneebedeckung im Oktober und verstärkten sibirischen Hochdrucklagen auf, was zu einer starken Auskühlung des Kontinents führt.

Schlüsselregion Arktis

Die Arktis ist bei der Betrachtung des globalen Klimas eine sehr wichtige Region. Einerseits tritt hier der globale Erwärmungstrend insgesamt deutlich verstärkt in Erscheinung, andererseits wirken diese Veränderungen auf das globale Klima zurück. Bemerkenswert dabei ist, dass mit dem Klimawandel keineswegs eine gleichförmige Erwärmung des Planeten einhergeht. Nicht nur erwärmt sich die Arktis deutlich stärker als die meisten anderen Teile des Planeten, auch treten im Zusammenhang damit räumlich und jahreszeitlich begrenzte Extremereignisse auf, welche besonders kaltes Wetter oder in Sibirien sogar eine Umkehr des Erwärmungstrends im Winter hervorbringen können. Dies zeigt, wie komplex die Zusammenhänge im Klimasystem sein können. Sie im Detail zu verstehen, bedarf nach wie vor sehr viel Forschungsarbeit. Computersimulationen mit Klimamodellen sollen Einsicht in die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse geben, um auf diesen Grundlagen Vorhersagen zu ermöglichen. In Bezug auf dieses großangelegte Vorhaben gibt es viele Bausteine, von denen die Polarregionen einen sehr wichtigen darstellen.

Quellen

  Jaiser, R., Dethloff, K. & Handorf, D. (2013). Stratospheric response to Arctic sea ice retreat and associated planetary wave propagation changes. Tellus A: Dynamic Meteorology and Oceanography, 65(1):19375. doi:10.3402/tellusa.v65i0.1937

  Jaiser, R., Dethloff, K., Handorf, D., Rinke, A. & Cohen, J. (2012). Impact of sea ice cover changes on the Northern Hemisphere atmospheric winter circulation. Tellus A: Dynamic Meteorology and Oceanography, 64(1):11595. doi:10.3402/tellusa.v64i0.1159

  Stroeve, J. C., Serreze, M. C., Barrett, A. & Kindig, D. N. (2011). Attribution of recent changes in autumn cyclone associated precipitation in the Arctic. Tellus A: Dynamic Meteorology and Oceanography, 63(4), 653-663. doi:10.1111/j.1600-0870.2011.00515.x

Weiterführende Informationen

Mehr Informationen zu diesem Thema: Meereisportal, eine Initiative des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

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