Dr. Michael Karcher vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) spricht im Interview mit der Online-Wissensplattform Erde und Umwelt über das Projekt ACCESS der Europäischen Union. Karcher ist Ozeanograph und in der Sektion 'Meereis' am AWI tätig. In mehreren Arbeitsgruppen wurden bei ACCESS diverse wissenschaftliche Fragen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt des Arktischen Ozeans und seine Nutzung durch den Menschen bearbeitet. 26 Partner aus 10 Ländern waren an dem Projekt beteiligt, Karcher war stellvertretender Koordinator.

Was „versteckt“ sich hinter dem Projekt ACCESS?
ACCESS steht für Arctic Climate Change Economy and Society. Das Projekt lief von 2011 bis 2015 und ist eine Antwort auf eine Ausschreibung der EU-Kommission. Die Abschlussberichte für die EU wurden von uns erst kürzlich fertig gestellt. Ziel war es, wissenschaftlich fundierte Informationen über die Auswirkungen des Klimawandels in den verschiedenen ökonomischen Sektoren, die in der Arktis aktiv sind, zu liefern. Hierzu zählen die Schifffahrt, Öl- und Gasförderung, Fischerei und Tourismus.

Mit welchen Fragestellungen haben Sie sich beschäftigt?
Wo liegen die Chancen und Risiken? Es ging vor allem um das Aufzeigen von Möglichkeiten zur nachhaltigen Gestaltung der genannten Bereiche. Wir haben das Projekt vor allem über den naturwissenschaftlichen Aspekt in Bezug auf Klimaveränderungen aufgebaut. Ein Schwerpunkt lag auf der Erfassung der Vergangenheit, Gegenwart und möglichen Zukunft hinsichtlich der Entwicklung des Meereises in der Arktis. Neben dem Meereis wurden der Ozean und die Atmosphäre berücksichtigt. Diese Informationen sind in drei Arbeitsbereiche eingeflossen, die sich mit den ökonomischen Sektoren befasst haben - Schifffahrt, Öl-und Gasförderung, Tourismus und Fischerei.

Was war das Besondere am ACCESS-Projekt?
Die sehr intensive Zusammenarbeit, nicht nur interdisziplinär, sondern auch über unterschiedliche ökonomische Sektoren hinweg. Diese Verzahnung von Naturwissenschaft mit anderen wissenschaftlichen Bereichen (Sozioökonomie, Ökonomie, Politikwissenschaften) wird künftig immer mehr gefragt sein. All die wissenschaftlichen Zweige und Bereiche haben natürliche ganz verschiedene Interessen und Hintergründe. Ziel ist es, eine gemeinsame Gesprächsebene für alle Bereiche zu schaffen, was eine große Herausforderung darstellt.

Welche Kernaussagen können Sie zu den Ergebnissen treffen?
Es gibt eine große Vielfalt an Aussagen auf Grund der enormen Bandbreite des Projektes. Wir haben beispielsweise bestätigt, dass die Entwicklung des Meereises über die nächsten Jahrzehnte voraussichtlich aus einer Überlagerung eines langfristigen Trends zu immer weniger Meereis mit einer starken Variabilität bestehen wird.

Was heißt das?

Trotz eines langfristigen Trends zu immer weniger sommerlicher Meereisbedeckung in der Arktis wird es auch nach wie vor starke natürliche Schwankungen der Meereisbedeckung geben. Wir müssen auch künftig damit rechnen, dass es ein paar Jahre mit wieder etwas mehr Meereis geben kann.

Was vor allem für die Schifffahrt interessant ist.
Ja, vielen ist nicht bewußt, dass auch in Zeiten des Klimawandels die Arktis  im Winter zufrieren wird. Selbst, wenn wir davon ausgehen, dass die eisfreie und damit schiffbare Saison immer länger wird, wird es in den Übergangsphasen immer noch Eis geben, das gerade schmilzt oder sich gerade wieder bildet. Eis wird für die Schifffahrt auch weiterhin eine Rolle spielen und somit auch die Notwendigkeit von Eisbrechern und Navigation im Eis.

Ist der Rückgang des Meereises also gar nicht so dramatisch in der Arktis?
Der Rückgang ist durchaus dramatisch, aber er ist nicht kontinuierlich, also jedes Jahr weniger als im Vorjahr. Besonders problematisch ist: nicht nur die Fläche des Meereises hat in den letzten 30 Jahren abgenommen, sondern auch die Dicke. Die Dickenabnahme des Meereises ist noch größer als die Flächenabnahme. Dieses dünnere Eis reagiert sehr viel empfindlicher auf alle Veränderungen in der Atmosphäre wie Temperatur und Stürme. Mit anderen Worten: Ein starker Sturm, der vor 20 Jahren nichts angerichtet hat, der kann heute dafür sorgen, dass eine größere Fläche Meereis aufbricht und noch schneller abschmilzt.

Ein großes Thema im Zusammenhang mit der Arktis sind mögliche Ölunfälle
Auch dieser Bereich wurde thematisiert. Es gibt große Wissenslücken in der Ölunfallbekämpfung in eisbedeckten Gewässern. Wir wissen viel zu wenig über das chemische Verhalten von Öl unter solchen Bedingungen, seine Ausbreitung  unter dem Eis, wie gut man es detektieren kann und auch wissen wir nicht, wie gut oder schlecht wir sein Verhalten mit Modellen simulieren können. Der Wissensstand für eine effektive Bekämpfung der Ölausbreitung in einem eisbedeckten Gewässer ist ebenfalls zu gering. In allen diesen Bereichen wurden Wissenslücken aufgezeigt, und nur zu einem Teil konnten wir selbst einige davon schließen, etwa durch die Erforschung der Topographie der Unterseite des Eises, um ein besseres Verständnis für die Ausbreitung des Öls bei einem eventuellen Unfall zu bekommen.

Des Weiteren haben wir uns in dem Projekt der Luftverschmutzung gewidmet, da es zu Fragen der Luftchemie in der Arktis noch wenige Informationen gibt. Wie verhalten sich die von Schiffen emittierten Schadstoffe in dieser Atmosphäre. Es fanden Messkampagnen statt und es wurden Modellexperimente durchgeführt, wie sich die emittierten Schadstoffe bei einem erhöhten Schiffsverkehr in der Arktis verhalten und wie stark der Schiffsverkehr zu lokalen oder globalen Luftverschmutzungen beitragen würde. Eine weitere Fragestellung war die akustische Umweltverschmutzung, d.h. die Lärmemissionen und deren Wirkung auf Meeressäuger wie Wale.

Das Projekt ist abgeschlossen. Was passiert jetzt?
Wir werden noch an einem Synthesereport arbeiten, in dem wir in einer Gesamtschau versuchen, die die Ergebnisse aus den einzelnen Projektbereichen zusammenzufassen und den Bezug zueinander herzustellen wird. Dieser Report wird dann ebenfalls öffentlich zugänglich sein.

Welche Hoffnungen haben Sie hinsichtlich der Umsetzung der Ergebnisse?
Unser Einfluss ist hier begrenzt. Wir werden sehen, inwieweit die Ergebnisse des Projekts von den einzelnen Ebenen der Politik aufgenommen und in politisches Handeln umgesetzt werden. Wir haben versucht, den aktuellen Wissenstand und Handlungsoptionen in verständlicher Art und Weise für die Öffentlichkeit und die EU aufzuzeigen. Eine Umsetzung in politisches Handeln kann dann auf besserer Grundlage passieren.

Das Interview führte Karl Dzuba, Wissensplattform Erde und Umwelt

Weiterführende Informationen

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eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft