Unter Federführung von Wissenschaftlern des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) findet derzeit über der Arktis die HALO Flugzeugmesskampagne POLSTRACC (POLar STRAtosphere in a Changing Climate) statt. Vom nordschwedischen Kiruna aus führen die Klimaforscher mit dem Forschungsflugzeug HALO während des gesamten arktischen Winters Messflüge durch, um bisher noch unzureichend verstandene Aspekte der Wolkenphysik in Polarregionen und des Spurenstofftransportes zu untersuchen.

Die Untersuchung der Rolle der arktischen Stratosphäre und ihrer Wechselwirkung mit dem bodennahen Wettergeschehen in einem sich wandelnden Klima ist das Ziel von POLSTRACC. Die Arktis ist eine der Regionen, in denen sich der Klimawandel besonders stark bemerkbar macht. Besorgniserregend sind der schnelle Rückgang des Meereises, der starke Temperaturanstieg der bodennahen Temperatur oder die Veränderung der chemisch-dynamischen Prozesse am Übergang zwischen oberer Troposphäre und unterer Stratosphäre.

Mit der internationalen Kampagne, an der verschiedene deutsche Forschungseinrichtungen (KIT, Forschungszentrum Jülich, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Universitäten Heidelberg, Frankfurt, Mainz und Wuppertal, sowie der Physikalisch-Technische Bundesanstalt) beteiligt sind, wollen die Wissenschaftler vom Flugzeug aus Messungen im und um den arktischen Polarwirbel durchführen. Dabei geht es um den Austausch von stratosphärischer Luft mit der darunterliegenden Troposphäre, den Transport von polarer Luft in Richtung mittlerer Breiten und die chemisch-dynamischen Prozesse innerhalb des Polarwirbels.

Abbildung 1 zeigt eine schematische Darstellung des Polarwirbels (englisch: polar vortex) und der Prozesse, die während der Kampagne untersucht werden sollen. Im Inneren des Polarwirbels sinkt Luft aus der oberen Stratosphäre in Richtung der unteren Stratosphäre (LMS: lowermost stratosphere) und somit in den Übergangsbereich zwischen unterer Stratosphäre und oberer Troposphäre (genannt UTLS: upper troposphere lower stratosphere). Diese Luft ist chemisch gesehen alt, wird aber im Inneren des Winterpolwirbels weiter chemisch und physikalisch verändert. Die wichtigsten Prozesse sind hierbei die katalytischen Reaktionen, die zum Abbau des Ozons führen, sowie die vertikale Verteilung von Wasserdampf, Salpetersäure oder Chlor, die zur Bildung hochreichender stratosphärischer Wolken und zum weiteren Ozonabbau führen können. Im Gegensatz zum Südpol, wo sich jeden Winter ein Ozonloch bildet, wurde die Bildung eines ausgeprägten Arktischen Ozonlochs erstmals im Spätwinter 2011 beobachtet und erneuerte die Diskussion in wie weit die Ausprägung dieses Phänomens dem Klimawandel zuzuschreiben sei.

Zu Beginn der Kampagne im Dezember 2015 war der Polarwirbel bereits besonders stark ausgeprägt und lag relativ stabil zwischen Nordkanada und Grönland. Diese führte dazu, dass kalte polare Luft über den relativ warmen Nordatlantik floss und dort immer wieder die Entwicklung von Tiefdruckgebieten förderte, so dass die Tiefdruckkette und die daraus folgende Südwestströmung nicht abreißen konnten. Dieses stabile Zirkulationsmuster ist häufig verantwortlich für die besonders milden Winter in Deutschland, z. B. 2006/07, 2007/08, 2013/14 und jetzt im Dezember 2015. Das Tief Eckard, das sich im Zuge dieses Zirkulationsmusters bildete und um Weihnachten ungewöhnlich warme Luft bis nach Spitzbergen brachte, war allerdings eines der bisher extremsten Tiefdruckgebiete der Region.

Der Polarwirbel kann allerdings abgeschwächt oder gestört werden, er verändert dann seine Form und mäandriert, wodurch sich arktische Luft weiter nach Süden ausbreiten kann, wie derzeit in der Wettervorhersage gezeigt. Die Schwächung des Wirbels kann durch Wellen, die an der Leeseite von Gebirgsketten entstehen und durch die Troposphäre und Stratosphäre bis hinauf in die Mesosphäre laufen, verursacht werden. Beim Durchgang durch die verschiedenen Schichten der Atmosphäre können diese Wellen gebrochen werden, wodurch sie ihren Impuls abgegeben und die lokalen Winde beeinflussen. Außerdem führen die Wellen zu starken lokalen Temperaturmodulationen und können somit z.B. zur Bildung von hohen Zirruswolken führen, was wiederum einen direkten Einfluss auf den Strahlungshaushalt und somit auf die Bodentemperatur hat.

Während der gemeinsam mit den Partnerinstitutionen durchgeführten   Kampagne vermessen die KIT-Wissenschaftler im Verbund mit den Partnern den Lebenszyklus der Wellen, also die Entstehung, Ausbreitung und das Brechen der Wellen. Hierzu setzen die Forscher ein zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich selbstentwickeltes Messgerät ein, mit dem zweidimensional und hochauflösend die Verteilung von Spurengasen gemessen werden kann. Das Infrarotspektrometer analysiert die Wärmestrahlung der Atmosphäre und identifiziert verschiedene Spurengase anhand ihrer spektralen Signatur, einer Art "Fingerabdruck" der Moleküle. Da dabei die Abstrahlung der Atmosphäre selbst gemessen wird, funktioniert das Verfahren auch während der Polarnacht. GLORIA kombiniert Spektrometer und Infrarotkamera und kann auf diese Weise zweidimensionale Spurengasverteilungen -  man kann sich dies als fein gewebte Vorhänge entlang des Flugpfades vorstellen - viel detaillierter beobachten als bisher. Dies ermöglicht neue Einblicke in vertikale und horizontale Transportprozesse, ebenso in die Wechselwirkung zwischen hohen dünnen Zirruswolken und Spurengasen wie Wasserdampf in der Tropopausenregion, beides kritische Größen im Klimasystem. Für die genaue Vermessung steht außerdem ein zweites Flugzeug zur Verfügung. Die Falcon, ein weiteres Flugzeug der DLR-Forschungsflotte, wird bei einigen Flugexperimenten parallel zur HALO in Formation fliegen. Während HALO ihre Messinstrumente in Richtung obere Atmosphäre ausrichtet, nimmt die Falcon die unteren Atmosphärenschichten in den Blick.

Seit dem 12. Januar 2016 ist HALO in Kiruna stationiert und wird von dort Messflüge bis in 15 km Höhe unternehmen. Die Messkampagne wird bis März laufen, so dass der gesamte Winter abgedeckt ist. Zudem wird es noch einmal spannend, wenn mit zurückkehrendem Sonnenlicht in der Arktis, die Ozon zerstörenden photochemischen Reaktionen ablaufen können. Weitere Information und aktuelle News finden Sie hier.

Linktipp:
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POLSTRACC- POLar STRAtosphere in a Changing Climate
- Blog Climate research taking off

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