Das Alfred-Wegener-Institut entwickelt Simulationsmodelle, um Gefahren durch Tsunami für Küstengebiete besser abschätzen zu können.

Flachwassergleichungen sind Standardmodelle für Meeresströmungen, die die Ausbreitung von Tsunami beschreiben. Es existieren eine Vielzahl von Tsunami-Simulationscodes, die die Flachwassergleichungen im Computer näherungsweise berechnen. Dafür wird das Ozeanbecken in ein Rechengitter unterteilt, und die Ausbreitung in Zeitschritte. Je nach Methode (finite Differenzen, finite Volumen, finite Elemente) und konkreter Umsetzung werden die physikalischen Größen wie Meeresspiegelauslenkung und Geschwindigkeit an den Knoten, Kanten oder Zellen des Rechengitters betrachtet. Am anschaulichsten ist die Methode der finiten Volumen, bei der die Zellen des Rechengitters wie Gefäße betrachtet werden. Zu jedem Zeitschritt wird ausgewertet, wie viel Wasser in der Zeiteinheit von jeder Zelle in die Nachbarzellen fließt.

Unabhängig von der Methode ist die Implementierung mit regelmäßigen, meist rechteckigen Gittern am einfachsten. Modellcodes wie das japanische TUNAMI oder US-amerikanische MOST folgen diesem Ansatz. Nun genügen grobe Gitter für die lange Wellenlänge von Tsunami im tiefen Ozean, während in Küstenregionen und erst recht zur Simulation der Überflutung sehr viel feinere Auflösung notwendig ist. Ineinander geschachtelte Rechengitter erlauben MOST und TUNAMI, schnell genaue Ergebnisse zu liefern.

Einige Codes wie das australische ANUGA oder das am Alfred-Wegener-Institut (AWI) entwickelte TsunAWI gehen mit unstrukturierten Gittern einen anderen Weg, bei dem die Auflösung sehr flexibel gewählt werden kann. Das Rechengitter für die Szenarien, die mit TsunAWI für das indonesische Warnzentrum erstellt wurden, lösen den tiefen Ozean mit Dreiecken von 10-15 km Kantenlänge auf, zur Küste hin sinkt die Auflösung auf 150 m, in besonders dicht besiedelten Gebieten gar auf 50 m.

Tsunami-Simulation in der Frühwarnung

Die Tsunami-Frühwarnzentren in vielen gefährdeten Ländern, wie in Japan, den USA oder Indonesien, setzen vorab berechnete Datenbanken mit möglichen Tsunami-Szenarien ein. Teilweise werden diese durch Echtzeit-Rechnungen im Warnfall ergänzt. So kann im Falle eines starken Erdbebens, die zu erwartende Wellenhöhe an den Küstenabschnitten und die Laufzeit des Tsunami abgeschätzt werden.

Für das indonesische Frühwarnzentrum BMKG in Jakarta hat das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) ein Modell entwickelt, mit dem die Auslenkung des Meeresbodens für typische Erdbeben entlang des Sundagrabens (Tiefseerinne im Indischen Ozean) simuliert werden kann. Das AWI hat mit diesen Anregungen 3.450 Tsunami-Szenarien für 528 Epizentren und Erdbebenstärken von 7.2 bis 9.0 mit TsunAWI simuliert. Die Szenarien zeigen die Wellenausbreitung inklusive der Wellenhöhen entlang der Küste. Im Warnfall wird ein Satz von Szenarien zu den vorliegenden Multisensor-Messdaten ausgewählt und im Decision Support System aggregiert dargestellt.

In den übrigen indonesischen Seegebieten des Sundagrabens kommt die GFZ-Entwicklung EasyWave als Echtzeitmodell mit einfacher Modellphysik auf einem groben Rechtecksgitter zum Einsatz.

Tsunami-Simulation zur Risikoanalyse

Die Planung für den Ernstfall setzt eine sorgfältige Kenntnis der lokalen Gefährdung voraus. Welche Gebiete sind sicher und gut erreichbar, wo ist der Fluchtweg aus einem gefährdeten Gebiet zu weit und sollten stabile Fluchtgebäude geplant werden, wie sollten die Evakuierungsrouten gewählt werden? Welche Flächen sind besonders gefährdet und daher nicht für kritische Infrastruktur geeignet?

Viele dieser Punkte sind auf den ersten Blick klar - ein Krankenhaus gehört nicht direkt an die Küste, ein hoher Hügel eignet sich als Zuflucht.  Mit einem Ensemble von Tsunami-Simulationen zu Erdbeben mit verschiedenen Epizentren und Magnituden kann diese erste Einschätzung präzisiert werden, etwa mit Überflutungswahrscheinlichkeiten der einzelnen Gebiete.  Außerdem werden lokale Besonderheiten deutlich. Schützt eine vorgelagerte Insel das Festland, oder verstärkt sie die Gefährdung durch sich überlagernde Wellen? Wie stark stauen sich die Wassermassen in einer Bucht? Sind nur die ersten Wellenberge gefährlich hoch, oder ist durch Resonanzeffekte auch Stunden später noch mit extremen Wellenbergen zu rechnen?

Tsunami-Simulation von Kanalexperimenten und realen Ereignissen

Ein Tsunami-Modell, das in Warnsystemen eingesetzt wird, muss an einer Reihe von Referenzwerten bestätigt sein. Die meisten dieser Benchmarks basieren auf Kanalexperimenten mit genau definierter Bathymetrie (Geographie des Meeresbodens) und Quelle, z.B. das Auflaufen einer Welle auf eine schiefe Ebene. Anhand dieser Kanalexperimente wird das Tsunami-Modell validiert.

Beim Schritt zu realen Tsunami kommen mögliche Fehlerquellen hinzu. Die Quelle, d.h. die Auslenkung des Meeresbodens, ist nicht exakt bekannt. Auch die Bathymetrie ist nur mit grober horizontaler Auflösung (1 km bei den freien GEBCO-Daten, im Bereich von 10-100 m bei kommerziellen Daten) verfügbar. Ähnliches gilt für die Topographie an Land, zudem ändert sich die Rauigkeit je nach Flächennutzung von glatten Straßen zu dichter Bebauung mit festen Gebäuden - von mitgerissenem Treibgut ganz zu schweigen. Zu guter Letzt überlagert sich der Tsunami mit Gezeitenströmungen und anderen Wellen. Diese Signale können zwar Großteils aus den Messdaten gefiltert werden, trotzdem können insbesondere die Gezeiten den Tsunami selbst beeinflussen.

Deshalb werden Tsunami-Modelle anhand von realen Ereignissen kalibriert, d.h. Modellparameter wie Reibung, Viskosität und Gitterauflösung möglichst geeignet gewählt. Außerdem wird in Modellstudien der Einfluss der einzelnen Komponenten untersucht.

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