Die Vulkanologen des GEOMAR, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, wären nicht Teil eines Ozeanforschungsinstituts, wenn es nicht ab und an auch einen guten Grund gäbe, in See zu stechen. Doch was genau taten ein Dutzend Vulkanologen vier Wochen lang an Bord des Forschungsschiffes Meteor vor den Azoren?

Der Azoren-Archipel ist eine Gruppe von Inseln, die durch Vulkanismus im Atlantik entstanden sind. Dieser Vulkanismus ist Ursprung vieler Naturgefahren, denen die lokale Bevölkerung, aber auch Infrastrukturen und Luftwege im gesamten Atlantik ausgesetzt sind. Häufig gab und gibt es auf den Azoren große Eruptionen, Erdbeben, Flankenkollapse und Tsunamis. Um diese Gefahren besser abschätzen zu können, studieren Geologen die Vergangenheit. Je besser sie wissen, wie oft und heftig ein Vulkan in seiner Lebenszeit bereits ausgebrochen ist, desto genauer sind auch ihre Vorhersagen für die Zukunft. Sie wissen mehr über seine „Eigenheiten“, seinen "Charakter".

Durch Geländearbeit an Land konnten Vulkanologen bereits viele vergangene Ausbrüche der Azorenvulkane anhand der abgelagerten vulkanischen Asche und Gesteinsfragmente („Lapilli“) rekonstruieren. Allerdings reichen auf diese Weise erstellte Eruptionskataloge nicht weit in die Vergangenheit zurück. Oft sind sie zudem lückenhaft, weil die Ablagerungen an Land abgetragen werden, also der Erosion ausgesetzt sind. Ein weiteres Problem: das Volumen an vulkanischem Material, das von einer Eruption ausgeworfen wird, ist ein entscheidender Faktor für die Zerstörungskraft. Anhand der Ablagerungen wird dieses Volumen für vergangene Ausbrüche berechnet. Die Berechnungen können aber stark fehlerbehaftet sein, wenn man nur die vulkanischen Lagen in unmittelbarer Nähe des Vulkans in Betracht ziehen kann. Vulkanische Asche, die bei einem großen Ausbruch einer Ozeaninsel in die Atmosphäre geschleudert wird, wird vom Wind weit über das Meer verdriftet und lagert sich schließlich in Ozeanbodensedimenten ab. Die Bodensedimente sind für die Forscher ideal: die Erosion ist geringer, und weil in 1000 Jahren gerade einmal ungefähr 3 Zentimeter Sediment am Ozeanboden abgelagert werden, kann man auch mit nur einem Meter Meeressediment über 30.000 Jahre in die Vergangenheit blicken. Um den Eruptionskatalog zu vervollständigen und Volumenberechnungen zu verbessern, begeben sich marine Vulkanologen also auf die Suche nach Aschelagen im Ozeanboden. So geschehen im September 2017.

Thor Hansteen, Armin Freundt und ihr Team aus gut einem Dutzend Vulkanologen untersuchten genau diese Aschelagen mit dem Forschungsschiff Meteor. Sie benutzen hierfür ein sogenanntes Schwerelot, d.h. ein bis zu 12 Meter langes Stahlrohr, welches mit dem dazugehörigen Zusatzgewicht bis zu 4 Tonnen wiegt. Es wird mit einer Winde bis zum Ozeanboden hinuntergelassen. Dort sinkt es mithilfe der Schwerkraft tief in die Sedimente ein und wird anschließend wieder an Deck gebracht. Im Stahlrohr befindet sich wiederum ein Plastikrohr, welches nun, mit ein wenig Glück, mit Sedimenten gefüllt ist. Ist das Rohr voll befüllt, dann deckt der gehobene Schatz, ein 12 Meter langer Sedimentkern bis zu 400.000 Jahre Erdgeschichte ab!

An Deck wird das Plastikrohr aus dem Stahlrohr gezogen und in handlichere, ein Meter lange Segmente zerteilt. Diese werden nun der Länge nach aufgesägt und offenbaren dann die vielfältigen Strukturen und Schichtungen, die sich bei der Sedimentation ergeben haben. Lagen vulkanischen Ursprungs sind voller dunkler Asche und oft sogar Lapilli. Sie – fallen sofort ins Auge. Bei Ausfahrt des Forschungsschiffes M141 konnten an 43 Kern-Lokationen insgesamt 250 Meter Sediment erfolgreich geborgen und über 750 vulkanische Lagen identifiziert werden.

Und nun? Es folgt die eigentliche Detektivarbeit, die die Vulkanologen auch „Korrelation“ nennen. Da ein Kern ganz selten wie der andere aussieht, ist es essentiell die einzelnen Lagen in den verschiedenen Kernen miteinander zu verknüpfen, um die Verbreitungsmuster einer Eruption zu erkennen. Außerdem müssen die Forscher es schaffen, die Ablagerungen dem richtigen Vulkan und dem richtigen Ausbruch zuzuordnen. Dies geschieht zum einen anhand von optischen Eigenschaften und Datierungen. Zum anderen vor allem mithilfe des geochemischen Fingerabdrucks der Ausbrüche, denn die Menge und Verhältnisse verschiedener chemischer Elemente sind bei jedem Ausbruch einzigartig. Wenn diese akribischen Arbeiten abgeschlossen sind, werden wir bessere Kenntnisse zu Häufigkeit, Größe und Verbreitung vergangener Eruptionen haben als bisher. Vieles kann auf diese Weise über die Entwicklungsgeschichte der Vulkansysteme herausgefunden werden. Und wir können auch besser in die Zukunft schauen, d.h. Gefahrenabschätzungen werden genauer.

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.050

Veröffentlicht: 30.05.2018, 5. Jahrgang

Zitierhinweis: Strehlow, K. (2018, 30. Mai). Vulkanologen auf See – Detektivarbeit am Meeresgrund. Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 5. doi:10.2312/eskp.050

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