Zusammenfassung des Video-Interviews mit Prof. Dr. Martin Wahl (GEOMAR, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel) zur Bedeutung von Seegräsern:

Seegras ist ein sogenannter Primärproduzent. Das heißt es produziert Biomasse und Gewebe, welches von pflanzenfressenden Organismen konsumiert werden kann. Es gibt kleine Krebse, aber auch Fische, vor allem im Mittelmeer, die intensiv Seegras fressen. Zudem ist Seegras ein dreidimensionaler, komplexer Lebensraum, der Oberflächen an den Seegrasblättern selbst bietet, aber auch zwischen den einzelnen Sprossen für die dort siedelnden Arten.

Seegras produziert gleichzeitig große Mengen an Sauerstoff und bindet Kohlenstoff. Ein Teil des Kohlenstoffs, den wir in die Atmosphäre schicken und der dann irgendwann im Wasser landet, kann längerfristig von Seegras gebunden werden, vor allem von den Wurzelbereichen, die sehr langlebig sind. Im Unterschied zu Algen wurzelt Seegras. Das heißt, es bildet im Sediment Rhizome und Wurzeln aus. Damit hat es eine stabilisierende Wirkung auf die Küste, da die Sedimente durch das Wurzelwerk des Seegrases festgelegt sind und nicht beim nächsten Sturm schon wieder umgeschichtet werden. Seegras ist ein bedrohtes Ökosystem, und zwar weltweit.

Seegras benötigt zum Wachsen viel Licht und daher möglichst klares Wasser. Nährstoffüberschüsse im Meer hingegen schaden Seegraswiesen, denn ihr evolutionärer Vorteil, nämlich Nährstoffe auf Vorrat speichern zu können, geht dadurch verloren. Wenn hingegen Menschen zu viele Nährstoffe (Dünger) über das Grundwasser, die Flüsse oder auch die Atmosphäre in die Küstengewässer einbringen, profitieren davon kleine filamentöse Algen. Sie nehmen die Nährstoffe schneller auf und überwuchern dann die wichtigen, lebensraumbildenden Makroalgen und Seegräser (ESKP-Themenspezial: Ein Zuviel an Nährstoffen in der Ostsee).

[Ende des Interviews, April 2019]

Weiterführende Informationen

Kohlenstoffspeicherkapazität von Seegras

Seegras kann Kohlenstoff aus der Atmosphäre bis zu 35 Mal schneller als tropische Regenwälder aufnehmen. Obwohl Seegras insgesamt nur gerade einmal 0,2 Prozent des Meeresbodens bedeckt, macht es 10 Prozent der Kohlenstoffspeicherkapazität des Ozeans aus. Mindestens 159 Ländern haben Seegräser an ihren Küsten. Dementsprechend groß ist der Handlungsspielraum, um Seegraswiesen weltweit zu schützen. (UNEP 2019)

Die ‚Net Community Production‘ ist ein Maß für die Menge an Kohlenstoff, die tatsächlich von einer Lebensgemeinschaft aus der Atmosphäre entfernt wird. Für Seegraswiesen liegt sie zwischen 20,73 und 50,69 Megatonnen Kohlenstoff pro Jahr, wenn von einer niedrigen globalen Seegrasfläche von 300.000 km2 ausgegangen wird. Geht man hingegen von einer hohen Schätzung der globalen Seegrasflächen (600.000 km2) aus, steigt die Menge an Kohlenstoff, den diese Lebensgemeinschaft der Atmosphäre entzieht, auf bis zu 101,39 Megatonnen pro Jahr an. (Duarte et al., 2010)

Woher die Fähigkeit so große Mengen Kohlenstoff zu speichern?

Die besondere Fähigkeit von Seegras, Kohlenstoff zu speichern, liegt in dem sehr langlebigen Wurzel- und Rhizomsystem. Seegras-Rhizome können mehr als tausend Jahre alt werden (Mateo et al., 1997) und setzen damit in den Meeressedimenten langfristig große Mengen Kohlenstoff fest. Bei Rhizomen handelt es sich um horizontal wachsende, verdickte Sprossachsen einer Pflanze. Aus den verdickten Rhizomen sprießen sowohl die Wurzeln wie auch der Hauptspross, der die Sediment-Oberfläche durchbricht (Nultsch 2001). Letzteren nehmen wir dann als Seegras wahr. Die unterirdischen und kontinuierlich weiter wachsenden Rhizome helfen Seegräsern auch ungünstige Bedingungen oder Jahreszeiten zu überstehen.

Der globale Verlust von Seegrasflächen stellt einen erheblichen Verlust an natürlichen Kohlenstoffsenken in der Biosphäre dar (Duarte et al., 2010). Seit 1879 sind mindestens 29 Prozent der globalen Seegrasflächen verloren gegangen (Stand 2010, Waycott et al., 2009). Damals wurden zum ersten Mal Seegras-Bestände systematisch erfasst. Tatsächlich ist der Verlust als Kohlenstoffspeicher wahrscheinlich noch größer, da Seegraswiesen schon lange vor ihrem Absterben Biomasse verlieren und ihre Bruttoprimärproduktion einschränken.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (engl.: United Nations Environment Programme, UNEP) bezeichnet Seegraswiesen als eines der am stärksten bedrohten und gleichzeitig am wenigsten beachteten Ökosysteme der Erde. Der Erhalt der Seegraswiesen ist laut UNEP eine der „Geheimwaffen“ im Kampf gegen den Klimawandel. Anfang 2020 erscheint ein globaler Zustandsbericht zur Bedeutung der Seegras-Ökosysteme, vorgelegt vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), GRID-Arendal und dem UNEP-World Conservation and Monitoring Centre. Häufig wenig beachtet ist der hohe materielle Wert von Seegraswiesen, zum Beispiel als Lebensraum für Garnelen (Penaeidae). Berechnungen australischer Wissenschaftler nach beläuft sich dieser Wert auf 3500 Dollar pro Hektar und Jahr (Watson et al., 1993).

Text, Interview und Videoschnitt: ESKP (Jana Kandarr)

Referenzen

  Duarte, C. M., Marbà, N., Gacia, E. Fourqurean, J. W., Beggins, J., Barrón, C. & Apostolaki, E.T. (2010). Seagrass community metabolism: Assessing the carbon sink capacity of seagrass meadows. Global Biochemical Cycles, 24(4):GB4032. doi:10.1029/2010GB003793

  Mateo, M. A., Romero, J., Pérez, M., Littler, M. M. & Littler, D. S. (1997). Dynamics of Millenary Organic Deposits Resulting from the Growth of the Mediterranean Seagrass Posidonia oceanica. Estuarine, Coastal and Shelf Science, 44(1), 103-110. doi:10.1006/ecss.1996.0116

  Nultsch, W. (2001). Allgemeine Botanik (11., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Thieme Verlag.

  UNEP. (2019, 1. November). Seagras secret weapon to fight against global warming [www.unenvironment.org]. Aufgerufen am 10.12.2019.

  Watson R. A., Coles, R. G. & Lee Long, W. J. (1993). Simulation estimates of annual yield and landed value for commercial penaeid prawns from a tropical seagrass habitatAustralian Journal of Marine and Freshwater Research, 44, 211-219.

  Waycott, M., Duarte, C. M., Carruthers, T. J. B., Orth, R. J., Dennison, W. C., Olyarnik, S., & Williams, S. L. (2009). Accelerating loss of seagrasses across the globe threatens coastal ecosystems. PNAS, 160(30), 12377-12381. doi:10.1073/pnas.0905620106

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