Grönländische und Antarktische Eisbohrkerne bekommen Konkurrenz, denn nun können Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes für Polar und Meeresforschung (AWI) um Dr. Hanno Meyer auch anhand von Sauerstoffisotopen in Eiskeilen aus den Permafrostregionen der Arktis das Klima der Vergangenheit rekonstruieren. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature Geoscience berichten, stiegen die Wintertemperaturen in der russischen Arktis konstant an - und das bereits seit 7.000 Jahren.

Bisher wurden vor allem fossile pflanzliche Überreste wie Pollen, Kieselalgen oder Baumringe genutzt, um das Klima der Vergangenheit in der Arktis zu rekonstruieren. Diese Informationen dokumentieren jedoch hauptsächlich die Zeiten, in denen die Pflanzen wachsen und blühen - die warme Zeit des Jahres. Darum spricht man präziser von Sommertemperaturen, die rekonstruiert werden. Eiskeile hingegen stellen eines der wenigen Archive dar, in denen reine Wintertemperaturen gespeichert werden.

Eiskeile sind ein typisches Merkmal der Permafrostregionen und durchdringen als zusammenhängendes Netz die frostigen Böden im Norden Russlands. "Sie entstehen, wenn sich der dauerhaft gefrorene Boden im Winter aufgrund der großen Kälte zusammenzieht und an bestimmten Stellen aufreißt. Schmilzt dann im Frühjahr der Schnee, rinnt das Schmelzwasser in diese Risse. Bei einer Bodentemperatur von etwa minus zehn Grad Celsius gefriert es dort jedoch sofort wieder. Wiederholt sich dann dieser Prozess in den darauffolgenden Wintern, entsteht mit der Zeit ein Eiskörper, der an einen riesigen Keil erinnert", sagt Meyer, Permafrost-Forscher am AWI Potsdam und Erstautor der Studie.
Während Expeditionen in die sibirische Arktis werden Eisproben mit der Kettensäge genommen. Im Labor wird das Eis gereinigt und aufgetaut, bevor die Isotopenzusammensetzung der Wassermoleküle untersucht werden kann. Das Verhältnis von schweren zu leichten Isotopen zeigt an, unter welchen Temperaturbedingungen zuvor das Wasser verdunstet ist, dann als Wolken in die Polargebiete transportiert, und schließlich als Schnee abgerieselt wurde.

Die Minimaltemperaturen im russischen Oymyakon, dem kältesten Ort (Kältepol) der Nordhemisphäre wurden 1933 mit -68 °C gemessen. Das winterliche Klima wurde der Studie zufolge immer wärmer. Ist damit zu rechnen, dass die Minimaltemperaturen auch tiefer lagen? Wie "eiskalt" waren die russischen Winter vor 7000 Jahren?

Wie kalt es genau war, vermag Dr. Thomas Opel, AWI-Forscher und Ko-Autor der Studie, nicht abzuschätzen, da die Isotopenwerte noch nicht zuverlässig in Temperaturen umgerechnet werden können. "Vermutlich", so der Permafrost-Forscher, "waren aber auch die Minimaltemperaturen niedriger, da ja im Winter weniger Energie-Input durch Sonneneinstrahlung vorhanden war".

Relativ bekannt ist das Holozäne Klimaoptimum, eine Zeit, zu der es global wärmer war als heute. Es ist schwer, einen genauen Zeitraum einzugrenzen, da die Klimaentwicklung an verschiedenen Orten der Erde unterschiedlich verlief. Ein grober Zeitraum lässt sich allerdings benennen (etwa 9000 bis 5000 vor heute). Dies hängt mit der langfristigen und periodischen Veränderung der Position der Erde zur Sonne zusammen (den sogenannten Milankovich-Zyklen): Die Einstrahlungsmenge der Sonne im Sommer nimmt auf der Nordhemisphäre seit Tausenden Jahren ab. Die Einstrahlungsmenge im Winter jedoch nimmt im gleichen Zeitraum zu. Viele Studien, die sich hauptsächlich auf die Sommertemperatur-Klimaarchive beziehen, rekonstruieren eine "globale Durchschnittstemperatur", die bis zur Industrialisierung und dem Einsetzen des rezenten Klimawandels gefallen ist. Die ansteigenden Wintertemperaturen zu berücksichtigen ist wichtig, um Lehren zu ziehen, wie sich das Klima der Vergangenheit verändert hat.

Sind die gängigen Rekonstruktionen der jährlichen Durchschnittstemperaturen fehlerbehaftet, da Wintertemperaturen nicht berücksichtigt wurden?

"Ja, vermutlich sind die gängigen Rekonstruktionen von Temperaturen in der Arktis tatsächlich etwas verfälscht, da sie überwiegend auf Sommerwerten beruhen. Sie zeigen darum auch die langfristige Temperaturabnahme vor der Industrialisierung an, die der abnehmenden Sommerinsolation folgt. In Einzelfällen hängt es natürlich davon ab, was zur Rekonstruktion verwendet wurde, aber in den hohen nördlichen Breiten und der Arktis sind das tatsächlich meist pflanzliche Indikatoren, und diese zeigen Sommerwerte an", so das Forscherteam.

Klimamodellsimulationen, die alle Jahreszeiten berücksichtigen, konnten aus diesen Gründen nicht eindeutig mit den bisher bekannten Temperaturkurven abgeglichen werden. Diese Kenntnislücke wurde nun durch die bisher fehlenden und neu rekonstruierten Wintertemperaturen aus der Studie der AWI-Wissenschaftler geschlossen.

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