Die Auswirkungen des Klimawandels machen auch vor den Polargebieten keinen Halt. Sich ändernde Bedingungen in Arktis und Antarktis und verstärkte Aktivitäten des Menschen in diesen Regionen erfordern umfangreichere Wetter- und Meereisvorhersagen auf kurzen und längeren Zeitskalen, von Stunden bis hin zu Jahren.

Auf Initiative der Meteorologiebehörde der Vereinten Nationen (WMO) sind deshalb im Juli 2015 im schweizerischen Genf im Rahmen des “Polar Prediction Projects” Planungen für ein sogenanntes “Year of Polar Prediction - YOPP” konkretisiert worden. Ziel dieser Initiative ist die Verbesserung der Vorhersagemöglichkeiten und -fähigkeiten von Wetter, Klima und Meereisbedingungen durch eine zweijährige Phase der gezielten Verstärkung und Koordinierung von Beobachtungen, Modellrechnungen und der Lehre unter Einbindung vieler Interessensgruppen. 120 Teilnehmer aus Wissenschaft, Forschung, Politik, Vorhersagezentren, Behörden, Agenturen, Verbänden und Unternehmen haben an einer dreitägigen Konferenz im Juli 2015 zur Planung von YOPP teilgenommen.

Machiel Lamers, Junior-Professor für Umweltpolitik an der Universität Wageningen in den Niederlanden, war einer der Teilnehmer und spricht im Interview mit der Online-Wissensplattform ESKP (Earth System Knowledge Platform) über Inhalte und Ziele des Projekts und der Tagung.

Worum geht es beim "Year of Polar Prediction" generell und welche Ziele verfolgt das Projekt?

Ziel ist es, unser Wissen über Klima, Wetter und die physikalischen Prozesse in den Polarregionen zu erweitern. Davon könnten verschiedene Nutzer und Akteure innerhalb und außerhalb der Polarregionen profitieren. Das YOPP ist ein Zeitraum, in dem verstärkt Datenerhebungen und Modellrechnungen durchgeführt werden. YOPP hat eine Reihe von Zielen: Hierunter fallen die Verbesserung der Wetter- und Klimavorhersage, die Bewertung der Vorteile für die Benutzergruppen, Verifikationsmethoden, die Verbesserung bereits existierender Beobachtungssysteme und Erschließung weiterer Beobachtungsgebiete. Zudem die Verbesserung und Integration von Modellierungsansätzen zu Abläufen in der Atmosphäre, an Land, im Ozean und in der Kryosphäre sowie die Verbesserung der Kenntnisse hinsichtlich der Wechselwirkung zwischen polaren und mittleren Breiten.

Was sind, aus der Perspektive eines Sozialwissenschaftlers, Ihre Erwartungen an den YOPP-Gipfel und was ist Ihre Rolle dabei?

In den vergangenen Monaten haben wir eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern gebildet, die sich der Frage widmet, wer die potenziellen Nutzer von verbesserten Vorhersagemöglichkeiten sind. Wir wollen herausfinden, wie die Wertkette für Vorhersagen von Wetter, Klima und Umweltprozessen in den Polarregionen und darüberhinaus aussieht und wie verschiedene Nutzergruppen mit Modellierern und operationellen Zentren interagieren und eingebunden werden. Meine Erwartung ist, dass wir diese sozialwissenschaftlichen Fragen und Ziele darlegen können und die Teilnehmer davon überzeugen, wie wichtig es ist, diese Aspekte im Projekt zu berücksichtigen. Meine Aufgabe ist es, die sozialwissenschaftliche Dimension in YOPP einzubringen und Ideen für unsere Aktivitäten zu entwickeln.

Warum müssen Sozialwissenschaftler in derartige Projekte eingebunden werden?

Die Optimierung von Vorhersagen für die Polargebiete dient letztlich dazu, diese Regionen sicherer für ihre Bewohner und wirtschaftliche Aktivitäten zu machen. Wirtschaftliche Aktivitäten in den Polarregionen sollen in einer nachhaltigen Art und Weise durchgeführt werden und die Gesellschaften in den mittleren Breiten auf extreme Wetterereignisse, die im Zusammenhang mit Veränderungen in den Polarregionen stehen, vorbereitet werden. Den Informationsbedarf der verschiedenen Akteure zu verstehen, ist bereits ein wichtiges Forschungsgebiet für Sozialwissenschaftler. Denken Sie an die Rolle der sozialen Medien.

Darüber hinaus interagieren Sozialwissenschaftler durch ihre Forschungsschwerpunkte in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen mit unterschiedlichen Benutzergruppen innerhalb und außerhalb der Arktis. Die Kontakte und die Expertise der Sozialwissenschaftler helfen, die naturwissenschaftlich getriebenen Beobachtungs- und Modellierungsaktivitäten und dem Informationsbedarf der verschiedenen Nutzergruppen in Einklang zu bringen. Darüber hinaus haben Sozialwissenschaftler ein großes Interesse an der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft und der Rolle, die das Wissen in der Entscheidungsfindung spielt und wie Wissen von Forschern verschiedener Fachrichtungen und gesellschaftlichen Akteure in Projekten wie YOPP koproduziert wird. Instrumentelle und grundlegende sozialwissenschaftliche Aspekte zusammen können zu einem besseren Verständnis über die Notwendigkeit von Projekten wie YOPP führen und zu einem Erfahrungsschatz, der für Projekte über YOPP hinaus gelten kann.

Haben Sie eine Empfehlung, wie man verschiedene Interessensgruppen besser in Projekte wie YOPP einbinden kann?

Ein häufiges Missverständnis besteht in der Annahme, dass die Interessensvertreter bereits in einem frühen Stadium einbezogen werden müssen. Nicht jeder Interessensvertreter kann sich hinsichtlich Finanzierung und Zeitaufwand in Projekte einbringen. Ist die Teilnahme an Projekten wie YOPP Teil seiner Stellenbeschreibung? Meine eigenen Erfahrungen mit Interessengruppen in großen europäischen Wassermanagement-Projekten haben gezeigt, dass viele Akteure nicht bereits in einem Stadium beteiligt sein möchten, in dem nicht klar ist, was von ihnen überhaupt verlangt wird; sie benötigen einen Überblick über Kosten und Nutzen ihrer Beteiligung. Es ist ebenfalls unmöglich, wirklich alle beteiligten Interessengruppen einzubeziehen. Effektive Einbindung von Interessengruppen  in forschungsorientierten Projekten wie YOPP ist ein komplexes Thema, das von vielen weiteren Faktoren abhängt. Mein Rat: Eine Auswahl an Interessensvertretern treffen, sie aufsuchen und nach ihren konkreten Informationsbedürfnissen fragen. Mit ihnen zusammen kann dann nach dem passenden Inklusionsansatz gesucht werden.

Warum sollte sich die Gesellschaft für Initiativen wie YOPP interessieren?

Gesellschaften innerhalb und außerhalb der Polarregionen werden mit den Folgen des Klimawandels in ihrem Alltag und in der langfristigen Planung von zukünftigen Aktivitäten und Investitionen konfrontiert. YOPP unterstützt die Betroffenen in ihren Entscheidungsprozessen, sowohl durch Wissenszuwachs als auch die Nutzbarmachung dieses Wissens für die jeweiligen Interessensgruppen. Allerdings können wir die Gesellschaft nicht zwingen, sich für bestimmte Fragen zu interessieren; am größten sind die Chancen auf echtes Interesse, wenn wir die gesellschaftlichen Akteure in effektiver und für sie relevanter Art und Weise in unsere Forschung einbinden.

Das Interview führte Stefanie Klebe vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Weiterführende Informationen

  Hintergrund zum Thema: Umweltrisiken in Polarregionen minimieren
  World Meteorological Organization:  Polar Prediction
 „Noch fliegt Ryanair nicht in die Arktis“ Interview mit Klimawissenschaftler Thomas Jung (AWI)

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