Üblicherweise quantifizieren Meteorologen die Regenmenge mit Hilfe von automatischen Niederschlagstöpfen oder mittels Regenradar. Wissenschaftler des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-IFU) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) am Campus Alpin in Garmisch-Partenkirchen erforschen seit 2010 eine neue Messmethode. Diese nutzt das physikalische Phänomen der Dämpfung elektromagnetischer Wellen durch Regentropfen und nutzt die Infrastruktur von Mobilfunknetzen. Die eigens dafür entwickelte Software wertet Strahlungsschwankungen innerhalb der Richtfunkstrecken zwischen den Sendemasten aus und leitet daraus Informationen über die Regenintensität und -dauer ab. Das eng geknüpfte Netz der Mobilfunkmasten ermöglicht dabei eine hohe regionale Abdeckung. Ein weiterer Vorteil der neuen Methode ist die minimale Zeitverzögerung, mit der Information über lokale Regenfälle zur Verfügung stehen.

Regentropfen sind etwa so groß wie die Wellenlänge der Mikrowellenstrahlung der mit einer Frequenz von 15 und 40 Gigahertz betriebenen Richtfunkstrecken. Deshalb dämpft Regen die Strahlung in diesem Frequenzbereich besonders stark. Je stärker es regnet, desto stärker ist der Leistungsabfall zwischen zwei Antennen. Handynutzer bemerken von dieser Beeinträchtigung des Funksignals in der Regel wenig. Allenfalls bei extremem Starkregen kann die Strahlung so sehr gedämpft sein, dass die Kommunikation zwischen den Mobilfunkmasten aussetzt und die Telefonverbindung abbricht. Den Forschern am IMK-IFU um Professor Harald Kunstmann genügen diese Schwankungen, um anhand der Dämpfungsraten festzustellen, wo es wie stark regnet.

Die Empfindlichkeit des Messverfahrens ist mit einer Nachweisgrenze von einem Millimeter Regen pro Stunde genauso hoch wie bei der klassischen Methode mit Niederschlagstöpfen. Für Schnee funktioniert die Methode wegen der besonderen Struktur dieser Niederschlagsart allerdings noch nicht.

Christian Chwala und Felix Keis, Wissenschaftler in Kunstmanns Forschungsgruppe, testen die neue Technik derzeit anhand der Dämpfungsraten von 450 Richtfunkstrecken im südlichen Bayern. Ericsson Deutschland als Kooperationspartner ermöglicht es, den Forschern mit ihrer eigens entwickelten Software einlaufende Daten direkt vom Rechenzentrum des Mobilfunknetzbetreibers zum KIT Campus Alpin zu übermitteln. Dort werden die Daten dann prozessiert und nach auffälligen Leistungsschwankungen durchsucht. Die Forscher benötigen dafür nur die Daten der Sende- und Empfangsleistung der Richtfunkstrecken. Sensible Informationen, wie z.B. Details der übertragenen Kommunikation, werden nicht erfasst.

Deutschlandweit gibt es schätzungsweise 100.000 Richtfunkstrecken, die sich theoretisch in den Messprozess einbeziehen lassen und die etwa 1.000 konventionellen Niederschlagmessstellen ergänzen. Zum Beispiel könnte mithilfe der neuen Messtechnik in Bergregionen vor Hochwasser zuverlässiger gewarnt werden. Die Methode birgt aber vor allem auch großes Potential für Länder, in denen nur wenige oder gar keine Wetterstationen oder Regenradargeräte, jedoch ein dichtes Mobilfunknetz zur Verfügung steht. Beispielsweise in Regionen wie West-Afrika oder dem Nahen Osten könnte die Messmethode dazu beitragen, genauere Niederschlagsinformation zu erhalten, um die für das Wassermanagement dringend notwendigen Vorhersagemodelle zu verbessern. Aus diesem Grund knüpfen die Forscher des KIT Kontakte mit Wissenschaftlern und Mobilfunkbetreibern, unter anderem in Ghana, Burkina Faso und Palästina, um dort für die innovative Methode zu werben. In enger Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen wurde zum Beispiel der Rain Cell Africa Workshop im März 2015 in Ouagadougou (Burkina Faso) organisiert, bei dem Teilnehmern aus 18 verschieden Ländern die wissenschaftlichen und strategischen Grundlagen der Methode vermittelt wurden.

Publikationen

 Real-time data acquisition of commercial microwave link networks for hydrometeorological applications. Atmos. Meas. Tech., 9, 991-999, 2016. doi:10.5194/amt-9-991-2016
 Improving Rainfall Measurement in Gauge Poor Regions Thanks to Mobile Telecommunication Networks. BAMS, Volume 97 No. 3, 2016.

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