Im Sommer 2014 wurden im Permafrost der russischen Arktis riesige Krater entdeckt (ESKP berichtete: Löcher in der Arktis). Der Krater in der Region Jamal wurde nun im Zuge mehrerer russischer Expeditionen untersucht. ESKP konnte im Gespräch mit Gleb Oblogov und Aleksandr Kizyakov  interessante Neuigkeiten erfahren. Die russischen Geowissenschaftler kehrten am 10. November von einer Expedition zurück, die sich aus Fachleuten verschiedener Organisationen zusammensetzte: Institut für Kryosphäre der Erde, Institut für Erdmagnetismus, Institut für Öl- und Erdgasgeologie und Geophysik (alle Russische Akademie der Wissenschaften), Moskauer Staatliche Universität, "Gazprom VNIIGAZ" Moscow, "Timer" (Geophysikalisches Equipment) und ein Lebenserhaltungs-Team "Yamalspas" aus Noyabr'sk.

Da die steile Kraterwand mittlerweile gefroren ist, war es den russischen Forschern möglich, sich ins Innere des Kraters abzuseilen. Innerhalb eines 24-Stunden-Zeitfensters konnte das Team Proben entnehmen, Messungen durchführen und faszinierende Fotos schießen. Das Loch ist inzwischen teilweise mit Wasser gefüllt und es hat sich eine Eisdecke gebildet auf der viel Schnee liegt, der in den Krater hineingeweht worden ist. Das sich ansammelnde Wasser bei gleichzeitigem Tauen der Kraterwände im Sommer gilt als Anzeichen für die Bildung eines Sees. Der Abstand von der Erdoberfläche bis zur Eisoberfläche beträgt 23 Meter, bei einer Wassertiefe von etwa 10 Metern. Der Durchmesser des oberen Kraterrandes beträgt 40-43 Meter außen und 30 Meter innen. Nahe der Oberfläche sinken die Kraterfände zunächst flach Richtung Zentrum ein, da der Boden in diesem Bereich sehr viel Ton enthält. Aus dem gleichen Material besteht auch der Wall, da dieses Material bei dem pneumatischen Ausbruch um den Krater herum aufgeschüttet wurde. Ergebnisse vorhergehender Expeditionen (Marina Leibmann, COLD Yamal Projekt) zeigten, dass die sehr steilen Kraterinnenwände zu über 50 Prozent aus massivem Grundeis entstehen, mit einem nur sehr geringen Anteil an lehmigen geschichteten Bodenpartikeln.

Auf den Fotos der Kraterwände sind runde Vertiefungen zu erkennen, die vermutlich aufgrund der inhomogenen Verteilung des Eises entstanden sind. An der Eisoberfläche des Sees existiert eine taschenartige Vertiefung. Der Ursprung dieser grottenähnlichen Struktur ist noch nicht geklärt.
Auf einem Symposium in Moskau am Institut für Geoökologie (Russische Akademie der Wissenschaften) wurde über die Entstehung des Phänomens diskutiert. Leibmann wies dabei auf ein Missverhältnis zwischen dem Volumen des Kraters und des umgebenen ausgeworfenen Materials hin, welches um den Krater verteilt bis zu einer Entfernung von 120 Metern gefunden wurde.

Wladimir Olenchenko vom Institut für Öl- und Erdgasgeologie und Geophysik bekräftigte die Hypothese, dass die Entstehung des Kraters mit Bodengasen zusammenhängt. Die Region Jamal weist in 60 bis 80 Metern Tiefe eine stark erhöhte Gaskonzentration auf, die insbesondere an das Vorkommen von massiven Grundeiskörpern, sowie Cryopegs gebunden sind. Cryopegs sind ehemalige Meeresablagerungen mit einer Temperatur von unter 0°C, jedoch ohne Grundeis, da der hohe Salzgehalt in den Schichten den Gefrierpunkt absenkt. Darüber hinaus befindet sich der Krater in einer Zone sich kreuzender geologischer Störungen entlang derer sich Gase bewegen und zu kritischen Konzentrationen ansammeln können. Die abrupte Eruption brachte Olenchenko nach Auswertung von geoelektrischen Profilen derweil mit Gashydraten in Verbindung. Das dabei in ein Eiskristallgitter eingeschlossene Gas dehnt sich beim Übergang in die gasförmige Phase um das 164-Fache aus. Der Tauprozess wurde in diesem Fall sehr wahrscheinlich durch warme Sommer wie zuletzt in 2012 verstärkt. Gas, welches im Grundeis und an der Grenze zu gefrorenem Sediment eingeschlossen war, wurde durch Tauprozesse freigesetzt, der Druck im Porenraum stieg schlagartig an und bahnte sich einen Weg zur Oberfläche.

Viele Seen auf der Jamal-Halbinsel, die sich während einer vergangenen Warmphase gebildet haben, sind vermutlich auf einen analogen Prozess zurückzuführen.

Auf dem Symposium betonten die Teilnehmer, dass laut gängiger Klimaprognosen weitere Rekordsommer zu erwarten sind und die Entstehung weiterer Löcher zu einem ernsthaften Georisiko für die wirtschaftliche Aktivität, insbesondere der Erdgasförderung in Westsibirien, führen könnte. Die beteiligten russischen Wissenschaftler hoffen durch weiterführende Untersuchungen einer Vielzahl von entnommenen Proben zu weiteren Erkenntnissen gelangen – die chemische Zusammensetzung, Isotopenverhältnisse und die Konzentration von Methan sollen helfen, das Rätsel um die Löcher in der Arktis endgültig zu entschlüsseln.

Text: Boris Biskaborn, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

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