CoastMap ist das marine Geoportal des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG). Das Portal ermöglicht Visualisierung und eigene Analysen für eine ganze Reihe an Parametern anthropogener Belastungen der Nordsee. Die Wissenschaftler schauen mit ihren Daten indirekt weit hinauf ins Flusssystem. Stickstoff- und Phosphorfrachten beispielsweise aus Düngern und Waschmitteln zeigen durchweg rückläufige Trends in den letzten Jahrzehnten. Dennoch gibt es unerwartete Entwicklungen. Wissenschaftler erkannten einen Prozess, der die inzwischen stark verlangsamte Abnahme der in diesen Mengen schädlichen Nährstoffe erklärt. Auch der Schiffsverkehr spielt in der Stickstoffbelastung küstenferner Gebiete eine immer bedeutendere Rolle. Mehr zu diesen Entwicklungen im 2. Teil des Interviews mit Prof. Dr. Kay-Christian Emeis, Leiter des Instituts für Küstenforschung am HZG. Teil 1 des Interviews finden Sie hier.

Welche Entwicklung sehen Sie besonders positiv in der Nordsee?

Prof. Dr. Emeis: So ein Küstenmeer-Ökosystem lebt von den Kleinstlebewesen – winzigen Pflanzen, die für ihr Wachstum Nährstoffe benötigen – und die aus Nährstoffen, Licht und CO2 organisches Material herstellen. Menschliche Aktivitäten, vor allem die Düngung der Felder, haben jedoch seit etwa den 1950er-Jahren zu einer Überversorgung von Flüssen, Seen an Land und den Küstenmeeren mit Nährstoffen geführt. Dies wird als Eutrophierung bezeichnet und hatte unerwünschte Folgen. Seither ist viel passiert: Die Flüsse tragen bei uns inzwischen deutlich weniger der Nährstoffe in das Küstenmeer und die Nordsee scheint sich zu erholen. Wissen tun wir dies, weil sich zum Beispiel Seegrasbestände erholen. Für uns ein gutes Zeichen, da sie einst von nährstoffliebenden Algen überwuchert wurden und stark zurückgingen.


Was ist mit Stickstoff aus landwirtschaftlichen Düngern oder Phosphaten aus Waschmitteln?

Prof. Dr. Emeis: Ich habe hier eine Grafik (Abb.1) mitgebracht, die Stoffflüsse veranschaulicht. Hier sieht man recht gut, dass in den Sedimenten ein beträchtlicher Anteil von Phosphat reaktiviert wird. Phosphate wurden im Jahr 1986 in Waschmitteln verboten und die Phosphat-Frachten aus den Flüssen haben seit den 1980ern deutlich abgenommen, um mehr als die Hälfte insgesamt. Jedes Jahr reduzierte sich die Phosphat-Fracht um fünf Prozent. Leider scheint sich der Trend aber jetzt abzuflachen. Auch die „Überdüngung“ durch den zweiten wesentlichen Pflanzennährstoff – Stickstoff – wurde in den letzten Jahrzehnten durch regulatorische Maßnahmen an Land deutlich verringert, wie in der Elbe gut belegt werden konnte. Auch hier sanken die jährlichen Flussfrachten seit den 1980ern um 50 Prozent.
 

In der Nordsee konnten Sie jedoch feststellen, dass die schädlichen Nährstoffkonzentrationen nun deutlich langsamer zurückgehen. Warum?

Prof. Dr. Emeis: Unsere Auswertungen zeigen, dass die Konzentrationen im Küstenmeer nur langsam, deutlich langsamer als erwartet und gewünscht, zurückgehen. Das bedeutet, dass es Stickstoffquellen geben muss, die bisher nicht bedacht oder beachtet wurden. Untersuchungen im Wattenmeer und in anderen Nordseesedimenten zeigen, dass dies wahrscheinlich Beiträge von sogenannten regenerierten Stickstoffquellen sind. Im Sediment liegt Stickstoff als Teil von organischem Material vor, das zu Zeiten der höchsten Nährstoffeinträge in den 1970ern und 1980ern gebildet und angelagert wurde. Wenn Mikroorganismen dieses organische Material, d.h. die pflanzlichen und tierischen Reste abbauen, wird Ammoniak freigesetzt, welches dann wiederum von Mikroorganismen zu Nitrat umgewandelt wird. Man kann das an den stabilen Isotopen von Stickstoff und Sauerstoff im Nitrat erkennen und quantifizieren. Es sind also quasi Altlasten, die die heutigen Bemühungen um eine saubere Umwelt ohne Eutrophierung erschweren. Das erleben wir so auch in der Ostsee. Hier ist der Problemstoff allerdings Phosphor. 


Was ist mit den Schiffemissionen? Wie sind die Trends?

Prof. Dr. Emeis: Es gibt viele Anzeichen dafür, dass der Schiffsverkehr in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen wird. Die viel befahrenen 'Schiffsautobahnen' im Meer sind in den Sommermonaten die größte Quelle für Stickstoff in küstenfernen Gebieten. Zum einen sind dort die großen Flüsse mit ihren Nährstofffrachten weit entfernt aber zum anderen erfolgt eben im Sommer auch keine gute Vermischung mit tieferen Wasserschichten aufgrund einer Art Grenzschicht. So tragen die Schiffsabgase im Juni, Juli und August in der Ostsee und um sie herum bis zu 0,8 Kilogramm pro Hektar bei. Diese Abgase sind aber nicht nur ein Übel für die Umwelt. Die Stickoxide und Feinstaub aus der Verbrennung von Schiffsdiesel und Schweröl sind auch eine Gesundheitsgefährdung.

 

Welchen Beitrag können Sie als Wissenschaftler leisten, um richtige politische Entscheidungen diesbezüglich zu stützen?

Prof. Dr. Emeis: Um die Belastung mit Stickoxiden durch den Schiffsverkehr genauso zu regulieren wie es an Land der Fall ist - man denke nur an die Fahrverbote in Deutschlands Städten - muss man abschätzen können, welche Maßnahmen was genau bringen würden. Das kann man nicht in der Natur machen, sondern man ist in diesem Fall auf Modelle angewiesen. Dazu müssen schiffspezifische Emissionen, chemische Prozesse in der Atmosphäre, und Transportmodelle durch die Atmosphäre kombiniert werden. Dann werden konkrete Optionen wie der Einbau von verschiedenen Abgasreinigungssystemen modelliert, um die Wirkung einzelner oder kombinierter Maßnahmen abzuschätzen. Das hilft den Regulierungsbehörden bei der Entscheidungsfindung. 


Zukünftig sollen der Austausch und die Zusammenarbeit von Meereswissenschaftlern mit Wissenschaftlern, die im Einzugsgebiet von Flüssen forschen intensiviert werden. Welche Brücken kann hier coastMap schlagen?

Prof. Dr. Emeis: Zuerst einmal dient coastMap der zentralen Sammlung, Archivierung und Bereitstellung von Beobachtungsdaten. Aber wir haben weitergehende Pläne, beispielsweise die Verknüpfung von Daten aus dem Küstenobservatorium COSYNA mit coastMap. Wir wollen zudem coastMap mit Daten zu Charakteristiken des Einzugsgebiets der Flüsse im Verhältnis zu den Flussfrachten gelöster und partikulärer Frachten verbinden. Hat zum Beispiel ein Flusseinzugsgebiet, in dem viel Viehzucht betrieben wird, ein anderes Schadstoffmuster als eines, in dem Biokraftstoffe angepflanzt werden? Quasi der Abgleich Antibiotika aus der Tiermedizin versus Pflanzenschutzmittel. Oder wie sieht es mit den Fingerabdrücken von Städten aus? Hier rechnen wir mit Röntgen- und MRT-Kontrastmitteln, wir könnten also Human- mit Veterinärmedizin abgleichen. Wir wissen bereits für Hamburg, dass sich hier große Mengen Gadolinium finden lassen. Es muss eine enge Verbindung mit regionalen Modellen des Erdsystems geben, wobei wir immer den Menschen und dessen Aktivitäten versuchen einzuschließen. Mit solchen Modellen können wir in Verbindung mit entsprechenden geografischen Informationssystemen plausible Szenarien zukünftiger Entwicklungen in Bezug auf den regionalen Klimawandel mit solchen Szenarien verknüpfen, die nicht unmittelbar mit Klimawandel zu tun haben, aber mit den Auswirkungen. Dazu gehören Schadstofftransporte vom Land ins Meer bei Hochwassersituationen oder bei Dürren. Wir können auch die Effekte von gesetzgeberischen Maßnahmen - zum Beispiel der Düngemittelverordnungen - auf die Küsten und den Übergang von Land zum Meer modellieren. Grundlagen dafür werden übrigens heute und morgen hier in Berlin für das Projekt MOSES gelegt (Anm. d. Red.: MOSES - Modular Observation Solutions for Earth Systems).


Sie planen jedoch auch, chemische und isotopische Fingerabdrücke von Flüssen zu erstellen. Was ist hier das Ziel?

Prof. Dr. Emeis: Wenn man eine Vielzahl von Fingerabdrücken hat, dann können wir mit unseren Strömungsmodellen im Idealfall sagen: Ist es wahrscheinlich, dass dieses oder jenes Material aus diesem oder jenem Fluss stammt? Es gibt da sehr ausgedehnte Messkampagnen. Eine Gruppe bei uns arbeitet mit stabilen Isotopen. Jeder Fluss in Deutschland wird nun nach und nach abgeprüft. Stabile Isotope sind Elemente, die zwar chemisch gleich sind aber unterschiedliche physikalische Eigenschaften haben. Die Wissenschaftler haben jetzt Proben an allen Flüsse und Nebenflüssen von der Mündung bis zur Quelle genommen. Häufig hängen diese Elemente und ihre stabilen Isotope von der Geologie der Einzugsgebiete ab - aber eben auch stark von der Nutzung. Auf der einen Seite haben wir die stark industriell überprägten Gebiete und Häfen wie an der Elbe. Gleichzeitig  gibt es Gebiete mit viel Landwirtschaft wie das Einzugsgebiet der Eider. Wir wollen mit den isotopischen Fingerabdrücken versuchen, Materialherkunft in der großen "Rührschüssel" Deutsche Bucht, Wattenmeer, Nordsee zu identifizieren. Ursprünglich geht die Idee auf einen Fund vor einigen Jahren zurück. Hier konnten wir typische organische Substanzen mit einer Fabrik in Leverkusen in Verbindung bringen. Wir bemühen uns also um sogenannte Isotopenlandschaften, die dann ganz spezifisch Flüssen zugeordnet werden können. Wir wissen zukünftig dann woher ein Schadstoff stammt und können besser Maßnahmen ergreifen.


Nun gibt es eine große Menge Modellierungsdaten in coastMap, die visualisieren und versuchen die Realität nachzubilden? Welche Karten und Visualisierungen sind dabei besonders genau und nah an den tatsächlichen Szenarien?

Prof. Dr. Emeis: In einem derzeit laufenden Projekt namens NOAH arbeiten mehrere Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen daran, Karten mit Eigenschaften des Meeresbodens in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee zu erzeugen. Das hat den Hintergrund, dass der angestrebte „Gute Umweltzustand“ der nationalen Gewässer – eben auch der der AWZ in der Nordsee – durch bestimmte Deskriptoren und Indikatoren geprüft wird: Deskriptoren sind zum Beispiel Biodiversität, eingewanderte Arten, Lärm, Nahrungsnetze, Eutrophierung oder auch die Verschmutzung. Einer dieser Deskriptoren ist auch der Zustand des Meeresbodens. Dazu muss man den Zustand des Meeresbodens aber kennen, und das ist bei 27.000 km2 der deutschen AWZ gar nicht so einfach, denn der Zustand ändert sich im Verlauf der Zeit und Schiffe mit Wissenschaftlern sind immer nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten. Um zum Beispiel festzustellen, ob und wie das Vorkommen besonders schützenswerter biologischer Gruppen bodenlebender Organismen von Dingen wie Salzgehalt, Temperatur, Energie am Boden und Nahrungsverfügbarkeit abhängt, muss man Modellergebnisse nutzen. Diese Modelle haben bekannte Defizite, sie werden aber mit Daten aus Beobachtungen gefüttert und dadurch immer besser. In unserem NOAH-Projekt untersuchen wir beispielsweise auch, welche Rolle unterschiedliche Typen von Meeresböden für die Selbstreinigung der Nordsee von Nitrat spielen. Das ist eine so genannte Ökosystemdienstleistung, die gratis das vollzieht, was an Land Hunderte von Millionen Euro pro Jahr kosten würde. Diese Leistung muss natürlich erhalten werden.


Inwieweit war das Helmholtz-Zentrum Geesthacht in die Überlegungen und Planungen zur Elbvertiefung involviert? Die Vertiefung gilt ja rein rechtlich als Wasserbauwerk?

Prof. Dr. Emeis: Das HZG hat mit vielen der damit befassten Behörden und Ämter Kontakt, war aber nicht direkt involviert. Aber dieser Übergangsbereich vom Land zum Meer ist wissenschaftlich wirklich spannend. Wir untersuchen im Ästuar (Anm. d. Red.: den Gezeiten ausgesetzter Flussmündungsbereich) der Elbe, wie sich Änderungen im Strömungsverhalten gemeinsam mit Änderungen des Meeresspiegels und des Klimas auf die Eigenschaften der Wasserbewegungen zu Zeiten von Sturmfluten und ähnlichem auswirken. Genauso untersuchen wir, was geänderte Bedingungen durch verändertes Strömungsverhalten oder die Verringerung von Nährstoffen für die Umsätze im Ästuar und im Hafen bedeuten. Eine Herausforderung ist hier, dass neben den natürlichen Schwankungen solche auftreten, die durch menschliches Handeln hervorgerufen werden. Die beiden Einflüsse zu trennen ist wirklich schwierig. Aber die Trennung ist notwendig, um beobachtete Veränderungen zweifelsfrei auf ihre Ursachen zurück zu führen und diese so zu ändern, dass unerwünschte Folgen des menschlichen Handelns beseitigt oder gar im Vorfeld erkannt werden. Maßnahmen nämlich wie die Verringerung der Nährstoffe aus dem Flusseinzugsgebiet führten wider Erwarten zu Sauerstoffdefiziten im Hamburger Hafen. Auch hier ist die Lösung eine enge Kopplung zwischen Beobachtungen, Prozessverständnis und Modellierung. Da gibt es natürlich viele Auswirkungen jenseits von Containerschiffen.


Käme es doch noch zur geplanten Elbvertiefung: Welchen Beitrag könnte dann die coastMap langfristig leisten? Welche Rolle könnten Expertensysteme spielen?

Prof. Dr. Emeis: 
Die Elbvertiefung ist ja nur ein sehr publikumswirksamer menschlicher Eingriff in ein natürliches System, welches ja auch im Grunde schon lange nicht mehr natürlich ist. Andere Einflüsse sind die Abwasser- und Düngemittelverordnungen oder Temperaturerhöhungen, weil das Flusswasser als Kühlwasser genutzt wird, oder aber Änderungen in der Naturschutzgesetzgebung. Es gibt niemanden, der die Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Faktoren und Eingriffen ganz zuverlässig abschätzen kann – ein sehr spannendes Thema. Wissenschaft besteht ja im Kern aus der Klärung von Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung. Das ist bei uns im Normalfall statistisch abgesichert. Wenn dieses geschieht, dann passiert jenes mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit. Solche Wirkungsbeziehungen sind in der Natur sehr komplex und häufig nicht gut verstanden. Aber man kann das bestehende Wissen zur Beziehung zwischen unterschiedlichen Umweltzuständen und -einflüssen auch aufgrund von persönlicher Erfahrung von Wissenschaftlern formulieren. Das ist die Grundlage von besonderen Formen von Expertensystemen. Unser Institut will versuchen ein derartiges Expertensystem aufzubauen, in das unser geballtes Wissen zum Elbe-Ästuar und anderen Land-Meer-Übergängen eingehen soll und das Teil von coastMap werden soll. Damit können dann Wissenslücken einerseits (wo liegt das Expertensystem falsch) und mögliche und plausible Entwicklungen als Folge geplanter Maßnahmen andererseits abgeschätzt werden. Momentan klingt das noch nach Zukunftsmusik, aber die konkrete Planung läuft schon.

Herr Prof. Dr. Emeis, wir danken Ihnen für das Gespräch.
 

Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP).

Zum 1. Teil des Interviews mit Prof. Dr. Kay-Christian Emeis vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht.

Weiterführende Informationen

 coastMap Portal 
 coastMap-App 
  Biogeochemie im Küstenmeer: Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) 
  Resonator Forschungspodcast „Nordseebiogeochemie“ der Helmholtz-Gemeinschaft. Prof. Dr. Kay-Christian Emeis (HZG) im Gespräch.

Text, Fotos und Grafiken soweit nicht andere Lizenzen betroffen: eskp.de | CC BY 4.0
eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft