Der Windpark BARD Offshore 1 (BO1) liegt knapp 90 Kilometer nordwestlich der ostfriesischen Insel Borkum. Er umfasst eine Fläche von knapp 60 Quadratkilometern. Die 80 Windkraftanlagen reichen hinunter ins Meer bis auf eine Tiefe von 40 Metern. Die Ausmaße von B01 sind enorm. Was würde passieren, wenn es zu einem massiven Ausbau von Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee käme? Und hätte eine flächendeckende Bestückung Auswirkungen auf chemische, physikalische und chemische Prozesse im Meer? Diesen Fragen gehen Jeffrey Carpenter und Lucas Merckelbach, zwei Forscher am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, nach. Dazu haben sie Unterwassergleiter – sogenannte „Glider“ – mit speziellen Sensoren bestückt. Die Glider aus Geesthacht durchstreifen jetzt lautlos die Areale bestehender und geplanter Windparks in verschiedenen Tiefen und spüren selbst kleinste Wirbel im Wasser auf. Das Befahren innerhalb der Windpark-Areale ist nicht erlaubt, daher müssen sich Messungen auf die unmittelbare Nähe der Windkrafträder beschränken.

Die Forscher möchten wissen, was unterhalb der Meeresoberfläche passiert. Denn die mehrere Meter breiten Pfeiler der großen Windräder unterbrechen die natürlichen Strömungen und großen Wirbel, die in der Nordsee problemlos mehrere Kilometer im Durchmesser haben können. Für das Forscherteam stellt sich die Frage, zu welchen „Rühreffekten“ es entlang der Pfeiler kommen kann, wenn große Wassermassen daran vorbeistreifen. Und wirken sich diese neuen Wirbel auf die unterschiedlichen Wasserschichten im Meer aus? Das Temperaturgefälle in etwa 20 Metern Tiefe ist besonders im Sommer enorm. Es beträgt dort auf wenigen Metern circa 6 Grad Celsius. Je mehr Windräder gebaut werden, desto mehr kleine Wirbel entstehen. Dies könnte bei einer kritischen Menge einen messbaren Einfluss auf die Schichtung der Wassermassen haben. Die Glider aus Geesthacht spüren diesen Verwirbelungen nach.

Folgendes ist für die beiden Forscher bereits deutlich erkennbar: Falls Windparks in einer Größenordnung der gesamten deutschen „Ausschließlichen Wirtschaftszone – AWZ „ gebaut würden, wäre eine signifikante Änderung der Temperaturstruktur der Nordsee möglich. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in der Folge die Biogeochemie der Nordsee durch Änderungen der Schichtung und des Nährstofftransportes im Oberflächenwasser verändert. Die Herausforderung für die Forschung: Diese Änderungen der biologischen und chemischen Prozesse müssen erst quantifiziert werden. Gleiches gilt für das Verständnis, wie die physikalischen Prozesse ablaufen. Lucas Merckelbach schätzt jedoch, „dass beim derzeitigen Umfang des Aufbaus von Windparks nur wenige großräumige Veränderungen zu erwarten sind.“ Denn aktuell sind die Planungen für weitere Offshore-Windparks sogar zurückgefahren worden. „Daher erwarten wir gegenwärtig keinen Einfluss der Windparks auf die gesamte Nordsee“, so Merckelbach. Das kann sich jedoch in naher Zukunft wieder ändern.

Das Ökosystem Nordsee besser kennenlernen

Wir fragen bei den Forschern nach: „Was würde passieren, wenn es zu einer vermehrten Vermischung der warmen und kalten Wasserschichten käme?“ Jeffrey Carpenter sieht viele Prozesse, die von der Existenz einer Schichtung in der Nordsee stark beeinflusst werden. „Dazu gehören unter anderem der Transport und die Suspension von Sediment in der Wassersäule, wenn die Sedimente dort vorbeischweben. Ebenso zählt das Wachstum des Phytoplanktons dazu, das eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Arten darstellt. Wichtig sind auch die Konzentration von gelöstem Sauerstoff und natürlich die Temperatur des Oberflächenwassers“, so der Forscher. Diese können seiner Ansicht nach zu einem „Kaskadeneffekt für das Ökosystem führen, wenn sich das Nahrungsspektrum für andere Arten sprunghaft ändert und diese ihre Nahrungsgrundlage verlieren.“ Darüber weiß die Forschung gegenwärtig noch nicht viel. Bekannt ist jedoch: Die Nordsee ist ein extrem dynamisches und variables System. Abhängig vom Verlauf eines Jahres gibt es in der Deutschen Bucht jetzt schon starke Unterschiede in der Schichtung des Meereswassers. Eine der großen Aufgaben ist es, diese Variabilität zu verstehen und in Zahlen zu fassen. „Momentan beschäftigen wir uns damit, die natürliche Struktur von kleinskaligen turbulenten Wirbeln – sogenannten Eddies – in Gebieten der Deutschen Bucht ohne Windfarmen zu quantifizieren. Das bildet die Grundlage, um Systemänderungen besser beurteilen zu können“, sagt Lucas Merckelbach zum aktuellen Forschungsstand.

Die ursprüngliche Studie der beiden Forscher vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht war auf Machbarkeitstests ausgelegt. Sie wollten untersuchen, ob die Vermischung im Wasser durch Windfarmen einen signifikanten Einfluss auf die Schichtung der Nordsee haben könnte oder nicht. Aktuell verwenden sie sowohl Messungen in Windparks und deren Umgebung, als auch Computersimulationen, um die Vermischungsprozesse besser zu verstehen und einzugrenzen. Zusätzlich planen sie, modellhaft idealisierte biologische Prozesse einzubauen. So können sie anfangen, die Einflüsse auf die Ökosystem der Nordsee zu quantifizieren.

Welche Herausforderungen stehen ihnen noch bevor? Jeffrey Carpenter sieht die interdisziplinäre Zusammenarbeit als große Aufgabe. „Wir denken, dass es wichtig ist darauf hinzuweisen, dass die Einflüsse von Offshore-Windparks ein sehr komplexes und vielfältiges Thema sind, an dessen Bearbeitung viele Wissenschaftsdisziplinen von Physik über Chemie zur Biologie, aber auch Sozial- und Politikwissenschaften beteiligt sein müssen“, so Carpenter. Im Hinblick auf die physikalischen und biologischen Konsequenzen ist es immer noch nicht klar, ob diese Einflüsse positiv oder negativ sind – selbst wenn die Ergebnisse zeigen, dass Effekte beim Bau von Windparks in einem großen Gebiet mit 100 Quadratkilometern auftreten können. Seiner Einschätzung nach wird es noch „viel Arbeit erfordern, all diese Fragen zu beantworten.“

Über das Projekt

Das Projekt ist Teil des PACES II Förderprogramms der Helmholtz Gemeinschaft am Institut für Küstenforschung. Dieses Programm läuft voraussichtlich bis 2019 oder 2020. Die ersten Resultate der Machbarkeitsstudie wurden 2016 veröffentlicht. Carpenter und Merckelbach gehen davon aus, dass sie zumindest bis zum Ende des PACES II Förderprogramms weitermachen.

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