Dieses Mal soll alles anders gemacht werden. Wenn Amerikaner, Russen, Inder, Japaner, Kanadier, Europäer und viele andere Länder ab etwa 2021 mit ehrgeizigen Plänen wieder zum Mond fliegen, sollen die Fehler der ersten Ära der Mondlandungen von 1969 bis 1972 nicht wiederholt werden. Seinerzeit wurden erhebliche finanzielle und intellektuelle Ressourcen investiert, um Menschen zum Mond zu bringen. Nachdem dies gelungen war und erstmalig ein fremder Himmelskörper betreten wurde, wussten Politik und Gesellschaft am Ende nichts damit anzufangen. Aller großen Worte zum Trotz, nahm die mediale Aufmerksamkeit ab und das Projekt wurde aufgegeben. Zurückzuführen ist dieses überraschende Motivationstief auch darauf, dass die Mondfahrt nicht ausreichend kulturell reflektiert und integriert wurde. Die Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften haben sich seit den 1960ern generell mit dem Thema Raumfahrt nur am Rande befasst. Die Frage ist, ob wir das heute besser machen als vor fünfzig Jahren.

Dieses Mal fliegen wir zum Mond, um zu bleiben, lautet heute das Motto der NASA. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn seit 2009 wissen wir, dass es auf dem Mond Wassereis gibt. Was aber ist mit der sinnhaften, letztlich philosophischen Dimension der Raumfahrt? Diese große Frage nach dem Warum, nach dem Sinn der Raumfahrtvorhaben ist nicht ohne Bedeutung für ihre kulturelle Integration.

Schwache Philosophie der Raumfahrt

Der große Schritt für die Menschheit, der mit der Mondlandung von 1969 erreicht wurde, verblasste in der Folgezeit rasch wieder. Technikkritische Medien attestierten dem Raumfahrtunternehmen zehn Jahre später Nutzlosigkeit, Verschleuderung von Steuergeldern und Energieressourcen. Es habe sich um ein bloß medial inszeniertes Spektakel gehandelt.

Der Philosoph Hans Blumenberg drehte in seinem posthum veröffentlichten Essay „Schwache und starke Philosophien im Kosmos“ die Beweislast um (Blumenberg, 1997, S. 415-418). Er wirft den Technikkritikern vor, dass sie nur deshalb so leichtes Spiel mit der Mondlandung hatten, weil diese in eine „schwache Philosophie“ eingebettet war, die von sportlichem Ehrgeiz und nationalem Wettstreit geprägt war, dessen höchstes Signum das Aufstellen der Fahne auf dem Mond wurde.

Die Kritiker der Mondlandung, so Blumenberg, hätten diese Einbettung in eine schwache Philosophie adaptiert, ohne zu sehen, dass auch eine „starke Philosophie“ möglich gewesen wäre, die aus dem Monderfolg eine Epochenmarke hätte machen können.

Blumenbergs These ist, dass eine starke Philosophie der Raumfahrt nur die Gestalt einer Geschichtsphilosophie haben könne. Er verweist dabei auf das Hegelsche „Bündnis mit dem Weltgeist“. Seine These hat historiographisch beurteilt einige Plausibilität, waren doch viele der großen Raumfahrtpioniere der 1920er Jahre bis zu Wernher von Braun von einer unglaublich weiten historischen Perspektive geprägt.

Möglichkeiten einer starken Philosophie der Raumfahrt

Zwar mehr von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling her gedacht, war unter den Raumfahrtpionieren die Vorstellung verbreitet, die menschliche Geschichte sei eine Fortsetzung der Naturgeschichte. Zentral war dabei der Gedanke, dass der menschliche Selbstbefreiungsprozess bereits in der Naturentwicklung begann. Schon in der Entstehung des Lebens selbst sei ein Prozess der Befreiung angelegt, speziell aber in der Entwicklung der Fortbewegungsorgane und der damit verbundenen zunehmenden „freien Beweglichkeit“ und Unabhängigkeit vom Erdboden.

Die Emanzipation von der Erde, wie sie in der durch das kulturelle Lebewesen „Mensch“ hervorgebrachten Raumfahrt zum Ausdruck kommt, musste demnach als eine Konsequenz dieses natürlichen Prozesses erscheinen. Die Raumfahrer galten folgerichtig als Repräsentanten des Lebens im extraterrestrischen Raum und nicht nur als Repräsentanten der Menschheit. Die Raumfahrt wurde als Expansion des Lebens selbst aufgefasst, die mithilfe des von der Natur in Form des Menschen hervorgebrachten Instruments der Intelligenz erfolgte. Die immateriellen Energien des menschlichen Geistes wurden somit als eine natürliche, evolutive Kraft angesehen.

Beispielsweise notierte Max Valier, einer der Raumfahrtpioniere der 1920er Jahre, der auch philosophische Texte verfasste: „Nimmer kann sich der Mensch mit dem Erreichten oder leicht Erreichbaren begnügen, von je trieb ihn ein innerster Zwang dazu, gerade das scheinbar Unmögliche zu versuchen. Und darin liegt durchaus auch nichts Unnatürliches. Ist doch dieses Streben nur der lebendige Ausdruck unseres Wesens, das nach immer höherer und vollkommenerer Entfaltung seiner Daseinsweise verlangt und diese durch beständige Erweiterung der Naturbeherrschung zu erreichen sucht.“ (Valier, 1925, S. 5) Philosophisch betrachtet, kann man Valiers Sichtweise als eine essentialistische Anthropologie der Raumfahrt charakterisieren, die das Wesen des Menschen naturalistisch verankert.

Infokasten: Space Race 2.0?

1972 wurden die Mondlandungen eingestellt. Heute fünfzig Jahre später wollen alle wieder hin. Sowohl die staatlichen Raumfahrtinstitutionen weltweit, die Start-ups des New-Space, die Universitäten und mittlerweile auch viele renommierte Künstler haben ehrgeizige Mondprojekte entwickelt. Spätestens 2021 soll es losgehen mit all den verschiedenen Aktivitäten, um letztlich ein Moon Village zu errichten, welches mittels 3D-Druck aus dem Regolith, dem Mondstaub, gebaut werden soll, und zwar für Menschen und nicht bloß Roboter, denn Roboter benötigen kein Moon Village.

Das Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig ist an vorderster Front mit dabei. Mit dem Projekt MOONRISE wird in Kooperation mit dem Laser Zentrum Hannover an einem Mondlaser gearbeitet, der das Regolith für den 3D-Druck aufbereiten soll. 2021 soll diese Technologie mit der ersten Mondmission des Berliner NewSpace-Unternehmens PTScientists auf den Mond zu fliegen. In der Presseinformation heißt es:

„Konkret wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Braunschweig und Hannover Regolith auf der Mondoberfläche kontrolliert – mithilfe ihres Lasersystems – aufschmelzen. Nach dem Abkühlen liegt ein fester Körper vor, der beispielsweise geeignet wäre, als Baumaterial für das ‚Moon Village‘, die Vision des globalen Dorfes auf dem Mond als Außenposten im All, zu dienen. Das gezielte Aufschmelzen in vordefinierte Strukturen wird mit hochauflösenden Kameras überwacht und dokumentiert. Die Erkenntnisse aus den Versuchen werden grundlegenden Einfluss auf explorative Missionen generell haben. Denn gelingt das Experiment auf dem Mond, ließe sich das MOONRISE-Verfahren auf die Erzeugung größerer Strukturen hochskalieren. Somit könnten auf lange Sicht ganze Infrastrukturen wie Fundamente, Wege und Landeflächen durch die MOONRISE-Fertigungstechnologie erbaut werden.“

Buckminster Fullers Synergetik

Richard Buckminster Fuller kam in seiner 1969 erstmalig erschienenen Arbeit „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“, mit der er die kybernetische Systemtheorie um die von ihm konzipierte Synergetik erweiterte, zu einem ähnlichen Ergebnis. Um Entwicklungsprozesse auf der Erde, die unter anderem zur Raumfahrt geführt haben, erfassen zu können, unterschied er zwischen der „physischen Energie“ und dem „metaphysischen Know-how“ als den zwei Hauptquellen des synergetischen Fortschritts.

Damit führte er zusätzlich zu materiellen Faktoren einen für ihn wesentlichen ideellen Faktor in die Systemtheorie ein. Es ist wesentlich dieser ideelle Faktor, zu dem auch die Entwicklung mathematischer Strukturen der Natur gehört (mit denen sich unter anderem schwerpunktmäßig die biologische Topologie beschäftigt), der das System Erde dazu geführt hat, Raumfahrttechnik hervorzubringen.

Der unverstandene Blick auf die Erde

Für Blumenberg war die schwache Philosophie des Space Race die Ursache dafür, dass solche philosophischen Dimensionen der ersten Mondlandung von 1969 nicht wirklich im Mainstream ankamen und insbesondere nicht in der Kultur- und Technikkritik der 1970er, 1980er und 1990er Verbreitung fanden. Mit anderen Worten: Man hatte den Mond erreicht, aber nicht verstanden, was das bedeutete.

Dies sieht auch Günther Anders so, der sich selbst als Maschinenstürmer verstand (Anders, 1982, S. 298) und der eigentlich der von Blumenberg so sehr gegeißelten „kulturkritischen Glosse“ zuzurechnen wäre (Blumenberg, 1997, S. 415). Anders hatte 1956 die bis heute viel gelesene, kulturkritische „Antiquiertheit des Menschen“ veröffentlicht.

Für Anders besteht das Hauptproblem der Evaluation der Mondlandung darin, dass die Menschen damals diesem großartigen Ereignis nicht wirklich gewachsen gewesen seien. In seinem Buch „Der Blick vom Mond“ ist Anders äußerst fasziniert von der Mondlandung, dem „wohl größten Abenteuer, das die Menschheit bis heute gewagt hat – denn diese Redensart ist nicht übertrieben“ (Anders, 1970, S. 81). Gleichzeitig ist er aber völlig abgestoßen von der mittelmäßigen Art, wie darauf reagiert wurde. Provinziell hätten die Fernsehzuschauer das Universum zu einem dritten Möbelstück zwischen dem Plattenschrank und der Getränkebar gemacht. Die Raumfahrer zeigten sich nicht minder kleingeistig. Tausende Kilometer entfernt wussten sie nichts Besseres mit ihrer Freizeit anzufangen, als sich Rundfunkberichte über die Baseball-Resultate ihrer Heimatstadt anzuhören (Anders, 1970, S. 73).

Was Anders an der Einstellung seiner Zeitgenossen störte, war weniger das fehlende Begreifen der epochalen Bedeutung der Transzendierung des Irdischen. Sein Sarkasmus richtete sich vielmehr gegen die Ignoranz, die ein tieferes Verstehen der existentiellen Bedeutung des Blicks zurück auf die Erde verhinderte. Zum ersten Mal konnte man die Erde im Unendlichen schweben sehen als eine nirgendwo verankerte, im Ozean des Raums schiffbrüchig herumschwimmende Boje: die Erde als Strandgut des Universums.

Was hier geschah, war in den Augen von Anders etwas Erhebendes und zugleich Demütigendes, ja Traumatisches: das Sinnlichwerden der Kopernikanischen Wende. Was wir seit Kopernikus wussten, dass die Erde nur ein Himmelskörper unter anderen ist, im Universum keinerlei Zentralstellung besitzt, und dass mit dem Geozentrismus auch der Anthropozentrismus fällt, wussten wir eben nur, erlebten es aber nicht und konnten es verdrängen. Nun aber sahen wir dies erstmals wirklich, zumindest durch die Augen unserer Vorposten im All. Im Medienrummel ging diese neue existentielle Sicht jedoch unter. Bloß sehr beschränkt wahrgenommen wurde für Anders auch die umgekehrte Sehrichtung, die in das Universum. Eine Definition der Romantik für das Philiströse aufgreifend, erkennt er darin ein „mangelndes Interesse an Entferntem“ (Anders, 1970, S. 73). 

Einen wichtigen Grund für die sang- und klanglose, vorzeitige Beendigung des Apollo-Programms kann man mit Anders in der mangelnden kulturellen und sinngebenden Reflexion der technologisch erfolgreichen Mondlandungen sehen. Dies erkannte er schon 1970. Seitdem hat sich dies nur wenig geändert, denn bis heute ist die Raumfahrt nur spärlich philosophisch, literatur- und kunstwissenschaftlich reflektiert worden. Anders reklamierte die fehlende Sprache für das Enorme, die eine ästhetische und semantische Tiefe ermöglicht hätte; er unterstellt sogar ein eingeschränktes Erleben: „Ich halte es für höchst wahrscheinlich, und die zitierten Äußerungen bestärken mich in dieser Annahme, dass die in die Weltraum-Unternehmungen Verstrickten nicht nur nicht wissen, was sie erleben, sondern dass sie wirklich nichts erleben, beziehungsweise, dass ihre Erlebnisse dem Enormen, was sie ‚erleben‘, nicht entspricht“ (Anders, 1970, S. 86). So blieb die Mondfahrt von Menschen letztlich unverstanden.

Kultur und Raumfahrt

Der Milliardär Yusaku Maezawa möchte im nächsten Jahrzehnt als Weltraumtourist mit einer BFR-Rakete von SpaceX in Richtung Mond aufbrechen und dabei Künstler und Literaten mit ins All nehmen (Zips, 2018). Man darf gespannt auf den Ausgang des Experiments sein. Welche Sprache, welche Bilder, welchen künstlerischen Ausdruck wird diese neue Gruppe von Weltraumfahrerinnen und ‑fahrern dem Erleben geben? Welcher kulturelle Impuls wird von diesem Experiment ausgehen?

Die Raumfahrtinstitutionen scheinen mittlerweile das Problem unzureichender Finanzierungen des kulturellen Framings erkannt zu haben, wird doch in Workshops und geförderten Kunstaktionen die kulturelle Seite der Raumfahrt gestärkt – wenngleich die Ansätze dazu noch eher tastend und wenig systematisch sind. In Anbetracht der nach wie vor verbreiteten interpretatorischen Schwäche bezüglich des Phänomens „Raumfahrt“, die Autoren wie Blumenberg und Anders herausgearbeitet haben, sollte man nicht vergessen, die Rückkehr zum Mond mit starken Argumenten zu flankieren. Das Strohfeuer der Apollo-Missionen sollte Warnung genug sein.

Referenzen

  Anders, G. (1970). Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge. München, Germany: C.H. Beck.

  Anders, G. (1982). Ketzereien. München, Germany: C.H. Beck.

  Blumenberg, H. (1997). Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt am Main, Germany: Suhrkamp.

  Fuller, R. B. (1998). Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften (hrsg. von J. Krausse, U. Bahn). Dresden, Germany: Verlag der Kunst.

  Heuser, M.-L. (2020). Schellings Naturphilosophie und die frühen Raumfahrtpioniere in der Weimarer Republik. In M.-L. Heuser (Hrsg.), „Der Mensch ist nicht nur für die Erde da“ – Schellings Philosophie des Weltraums (Reihe Schelling-Studien, in press). Stuttgart/Bad Cannstatt, Germany: Frommann Holzboog.

  Valier, M. (1925). Der Vorstoss in den Weltraum. Eine wissenschaftlich-gemeinverständliche Betrachtung (2. Aufl.). München, Germany: Oldenbourg.

  Zips, M. (2018, 18. September). Völlig losgelöst. Süddeutsche Zeitung [sueddeutsche.de]. Aufgerufen am 18.07.2019.

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.015

Veröffentlicht: 19.07.2019, 6. Jahrgang

Zitierhinweis: Heuser, M.-L. (2019, 19. Juli). Rückkehr zum Mond. Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 6. doi:10.2312/eskp.015

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