Kläranlagen können auf herkömmlichem Weg Mikroplastik nicht vollständig aus Abwässern zurückhalten. Dr. Gunnar Gerdts hat mit weiteren Experten des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in einem sehr aufwändigen Verfahren Abwasser und Klärschlamm aus zwölf Kläranlagen im Verbandsgebiet des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes (OOWV) untersucht.

Sie haben kürzlich eine Pilotstudie über Mikroplastik im Abwasser abgeschlossen. Worum ging es dabei konkret und wer gab den Auftrag hierfür?

Dr. Gunnar Gerdts: Bei der Studie ging es um die Analyse, ob und wie viel Mikroplastikpartikel und Fasern in Klärwerken vorhanden sind bzw. welche Mikroplastikpartikel in die Vorfluter abgegeben werden. Der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) und der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gaben diese Studie in Auftrag.

Was ergab die Untersuchung?

Bislang wusste man eigentlich noch gar nichts.  Es gab vereinzelte Studien über Mikroplastikpartikel in Klärwerken. Gleichwohl ist zu sagen, dass die meisten dieser Studien so durchgeführt worden sind, dass Partikel angereichert wurden und dann quasi mit Expertenwissen analysiert worden sind – d.h. rein von der Optik, von der Farbe, von der Beschaffenheit. Das ist natürlich mit einer großen Fehlerquelle behaftet. Unsere Studie ist die erste, die eine „unbiased“-Herangehensweise – mithin unabhängig vom persönlichen Eindruck des Betrachters – gewählt hat. Wir haben die Proben mit einer spektroskopischen Methode untersucht – einer so genannten MicroFTIR-Spektroskopie, mit deren Hilfe die Partikel aufgrund ihrer Infrarot-Signatur identifiziert wurden. Wir konnten daher mit Sicherheit sagen, dass es sich um Mikroplastikpartikel handelt, was sonst nicht möglich gewesen wäre. Wir haben eine relativ hohe Anzahl von Mikroplastikpartikeln gefunden, wobei wir das nicht in Relation stellen können, da es noch keine anderen Studien gibt und es sich nur um eine Momentaufnahme handelt. Wir haben zwar zwölf Anlagen untersucht, aber diese jeweils nur ein einziges Mal.

Sie können die Ergebnisse zwar nicht in Relation stellen, aber sind sie dennoch von den Untersuchungsergebnissen überrascht?

Frühere Untersuchungen aus dem Bereich Nano-Materialien ergaben, dass viele dieser Materialien im Klärschlamm zurückgehalten werden und im weiteren Kläranlagenablauf kaum etwas gefunden wird. Unsere Null-Hypothese war dementsprechend. Dies mussten wir falsifizieren, weil wir im Kläranlagenablauf und nicht nur im Klärschlamm eine Menge Mikroplastikpartikel gefunden haben.

Was sind eigentlich Mikroplastikpartikel?

Es gibt eine allgemeine Definition. Alle Plastikpartikel kleiner als fünf Millimeter. Das ist natürlich ein weiter Bereich. Wir sprechen über Partikel, die man mit dem bloßen Auge sehen kann, aber das geht bis in den Mikrometerbereich hinunter und dies lässt sich mit dem bloßen Auge nicht mehr ansprechen. Zudem wird zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik unterschieden. Primäres Mikroplastik sind Produktionspellets (zu einem industriellen Zweck hergestellte Mikroplastik-Kugeln/Anm. d. Redaktion), die bei der Herstellung von Plastikteilen produziert werden, um diese in andere Formen zu bringen. Hierzu gehören bspw. Partikel, die in Kosmetika vorhanden sind bzw. waren. Viele Hersteller verzichten mittlerweile darauf. Sekundäres Mikroplastik ist im Prinzip das Plastik, das früher einmal eine Tüte war und in kleine Teile zerfällt.

Welche Erkenntnisse haben Sie über die Auswirkungen von Mikroplastik auf Lebewesen und letztlich auf den Menschen?

Es gibt vielerlei Theorien inwieweit Mikroplastik gefährlich werden könnte. Bei Makroplastik ist es augenfällig. Tiere fressen es und verenden daran. Bei Mikroplastik verhält es sich komplizierter. Es gibt Hinweise, dass Mikroplastik Schadstoffe aufnimmt und im Organismus negative Auswirkungen hat. Die meisten Studien wurden experimentell durchgeführt und Aussagen sind entsprechend schwierig. In den meisten Studien sind relativ hohe Plastikkonzentrationen eingesetzt worden, die dann zum Teil zu Effekten geführt haben. Werden diese Versuche mit umweltrelevanten Konzentrationen durchgeführt, dann werden diese Effekte deutlich undeutlicher.

Wie geht es für Sie jetzt weiter? Stehen weitere Untersuchungen an?

Wir haben unsere Studie eigentlich im marinen Bereich im Rahmen des BMBF-Projekts MICROPLAST (BMBF ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung/Anm. d. Red.) angefangen. Das BMBF hat uns freundlicherweise auch das FTR-Spektrometer und -Mikroskop finanziert. Wir haben uns auf den marinen Bereich konzentriert und dabei Wasser und Sedimente untersucht. Das war und ist ein langer, steiniger Weg, da man die Nadel im Heuhaufen sucht. Es ist jede Menge Nicht-Mikroplastik vorhanden, das man loswerden muss, um die Partikel gut messen zu können. Wir sind dann auf Grund unserer gut herausgearbeiteten Methode gefragt worden, ob wir uns nicht auch andere Dinge angucken können. In diesem Zusammenhang ist der OOWV mit der Bitte auf uns zugekommen, uns die Kläranlagen anzuschauen.

Die Pläne sind jetzt, das am Besten in einem mehr holistischeren Ansatz zusammenzufassen, d.h. wir wollen wissen, was ist die Quelle und was ist die Senke. Da fehlen uns weitere Untersuchungen im Bereich Klärwerke. Aber ganz wichtig sind die Flüsse, also die Vorfluter der Klärwerke über die wir rein gar nichts wissen. Und zum Abschluss wollen wir wissen, welches Plastik wo verbleibt. Hier kommen die Flüsse ins Spiel, die ins Meer münden.

Welche Maßnahmen müssen zur Problemlösung ergriffen werden und was kann der Verbraucher tun?

Man sollte in erster Linie auf Plastikpartikel, die in Kosmetika eingesetzt werden, verzichten. Zudem sind Recyclingmaßnahmen notwendig wie sie in Deutschland gut durchgeführt werden. Großes Plastik wird in der Umwelt irgendwann zu Mikroplastik, da es biologisch nicht abgebaut wird.
Wir leben in einer Plastikwelt. Viele von unseren täglichen Gebrauchsgegenständen möchten wir nicht mehr missen. Das sind nicht nur die Plastiktüten, das sind die Frühstückbrettchen, die Kunststoffoberflächen in der Küche, Dosen etc. Beim Gebrauch dieser Dinge werden ständig kleine Partikel abgegeben. Das wäre nur aufzuhalten, wenn wir komplett auf Plastik verzichten würden.

Uns muss klar sein, was wir dem Ökosystem und letztlich uns antun, wenn wir so weiterleben wie bisher.

Welche Chancen sehen Sie für eine solche Veränderung?

Ich sehe relativ geringe Chancen, weil wir viele Vorzüge durch den Gebrauch von Plastik haben. Wir benötigen eine Risikoabschätzung – welche Materialen sind sehr gefährlich und welche sind weniger gefährlich. Es ist die Aufenthaltsdauer eines Partikels in einem Organismus, die die Gefährlichkeit ausmacht. Wenn ein Mensch Mikroplastik aufnimmt, dann scheidet er das sehr wahrscheinlich nach einer gewissen Zeit wieder aus. Bisher wissen wir aber noch sehr wenig über die Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen, da es hierzu noch keine Untersuchungen gibt.

Linktipps

 Weitere Informationen zum Thema Mikroplastik finden Sie auf der Webseite des Alfred-Wegener-Instituts (AWI).
 Der Norddeutsche Rundfunk hat hierzu auch einen Filmbeitrag.
 Verweildauer von Plastikmüll im Meer (Grafik des Bundesumweltamtes)

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eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft