Die kleinen keulenförmigen Verdickungen an den Fühlerspitzen sind eindeutiges Erkennungsmerkmal der knapp 150 in Deutschland außeralpin vorkommenden Tagfalter. Anders als gemeinhin wahrgenommen, machen Tagfalter nur 4% der Schmetterlinge in Deutschland aus, denn das Gros der heimischen Arten ist vornehmlich nachtaktiv.

Umgebungstemperatur ist entscheidend

Schmetterlinge sind, anders als Säugetiere, ektotherm. Ihre Körpertemperatur hängt hauptsächlich von der Umgebungstemperatur und nur kaum von ihrem Stoffwechsel ab. Vor allem durch ihr Verhalten, z.B. durch aktives Aufsuchen sonnigerer Stellen, können sie auf die eigene Körpertemperatur Einfluss nehmen. Wenige Arten sind, wie z.B. Schwärmer, in der Lage ihre Körpertemperatur in gewissem Maße durch Muskelvibration zu heben. Wissenschaftler, die die Auswirkungen des Klimawandels untersuchen, machen sich die Temperaturabhängigkeit zunutze. Günstig ist in diesem Zusammenhang auch die kurze Generationsdauer der Falter, d.h. die Fähigkeit schnell Nachkommen zu zeugen und damit kurzfristig auf Umweltveränderungen reagieren zu können. In nur einer Frühjahr-Sommersaison erblicken je nach Art 1 bis 5 Faltergenerationen das Licht der Welt. Wanderfalterarten, wie Distelfalter, Admiral oder Postillon, sind im Übrigen am produktivsten. Generell reagieren Schmetterlinge gegenüber limitierenden Umweltfaktoren wie Minimumtemperaturen besonders in Vermehrungsphasen empfindlich. Die Weiterentwicklung nach der Eiablage im Frühjahr hängt stark vom Wetter ab. Es kann beispielsweise bei kühler und nasser Witterung bis zu sieben Wochen dauern bis sich die Zitronenfalterraupe (Gonepteryx rhamni) verpuppt. Sonne hingegen beschleunigt den Prozess um bis zu vier Wochen. Wenn sich so die Artenzusammensetzung verändert, können Forscher relativ zeitnah klimatisch bedingte Auswirkungen ablesen.

Temperaturanspruch als Indikator

Für die Untersuchung klimabedingter Änderungen errechnen Wissenschaftler für jede einzelne Art zunächst einen Mittelwert der Temperatur über die verschiedenen Standorte, an denen diese Art vorkommt. In manchen Fällen müssen dafür Orte in Nordafrika, Süd-, Mittel- und sogar Nordeuropa einbezogen werden. Dieser Mittelwert ist der artspezifische Temperaturanspruch („Species Temperature Index“). Im nächsten Schritt wird nun die Tagfaltergemeinschaft an einem bestimmten Standort gemeinsam betrachtet. Mit Hilfe der artspezifischen Temperaturansprüche und unter Berücksichtigung der Individuenzahlen häufiger Arten, kann dann der „Community Temperature Index“ gebildet werden. Dieser Index zeigt, sofern er an ausgewählten Standorten regelmäßig wieder erhoben wird, Verschiebungen in den Populationsgrößen von Arten einer Artengemeinschaft als Antwort auf Klimaveränderungen an. Es ist gewissermaßen der durchschnittliche Temperaturanspruch häufigerer Insektenarten – in unserem Fall Schmetterlinge – an einem Standort. Ein großer Vorteil dieser robusten Methode liegt in der Vergleichbarkeit selbst zwischen sehr unterschiedlichen geographischen und klimatischen Regionen.

Die „klimatische Schuld“

Als „klimatische Schuld“ kann man dann die akkumulierte (aufaddierte) Verzögerung verstehen, mit der eine Art der Erwärmung in unseren Breiten folgt. Der „Community Temperature Index“ der Schmetterlinge zeigt, dass sich die Verbreitungsschwerpunkte der Tagfalterarten in 20 Jahren im Schnitt 114 km nordwärts verschoben haben während der Temperaturtrend bereits um 249 km nach Norden gewandert ist. Die klimatische Schuld der Tagfalter beträgt also ca. 135 km. Wohlgemerkt ist das ein Durchschnitt für alle 150 heimischen Tagfalter-Arten. Es gibt andererseits auch Spezies, die mit der Erwärmung besonders gut Schritt halten können, wie z.B. der ehemals vorwiegend mediterran verbreitete Karstweißling (Pieris mannii). Er hat sich in den letzten acht Jahren über die Schweiz bis nach Norddeutschland ausbreiten können, was einem Arealgewinn von ca. 100 km pro Jahr entspricht. Andere gut untersuchte Organismengruppen, wie Vögel oder Libellen, weisen eine ähnliche klimatische Schuld auf, aber dies, aufgrund ihrer teils längeren Generationsdauer, mit stärkerer Verzögerung.

Inwieweit eine Art überhaupt in der Lage ist auf den Klimawandel zu reagieren, hängt von der genetischen Vielfalt/Variabilität, der Populationsgröße, von ihren Verhaltenseigenarten, der Ausbreitungsfähigkeit und ihren besonderen Habitatansprüchen aber auch von der jeweiligen Struktur und Zusammensetzung der Landschaften ab. Entscheidendes Hindernis für die Ausbreitung von Schmetterlingsarten ist jedoch deren eingeschränkte Mobilität sowie die Fragmentierung der Landschaft, also die Isolierung geeigneter Habitate durch dazwischen liegende Landwirtschafts- und Siedlungsflächen oder Verkehrswege. 

Text: ESKP (Jana Kandarr)

Referenzen

  Devictor, V., van Swaay, C., Brereton, T., Brotons, L., Chamberlain, D., Heliölä, J., ... Jiguet, F. (2012). Differences in the climatic debts of birds and butterflies at a continental scale. Nature Climate Change, 2, 121-124. doi:10.1038/nclimate1347

Weiterführende Information

  Alle Informationen zum Tagfalter-Monitoring finden Sie am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ).
  Aktuelle Verbreitungskarten europäischer Tagfalter finden sie hier.

Veröffentlicht: 21.10.2016, 3. Jahrgang

Zitierhinweis: Kandarr, J. (2016, 21. Oktober). Die „klimatische Schuld“ der Tagfalter. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 3https://www.eskp.de/klimawandel/klimatische-schuld-tagfalter-935867/

Text, Fotos und Grafiken soweit nicht andere Lizenzen betroffen: eskp.de | CC BY 4.0
eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft