Der Klimawandel ist eines der Topthemen der Antarktis-Forschung. Erstmals haben Wissenschaftler die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die marinen Lebensräume im Südlichen Ozean hinsichtlich ihrer räumlichen Verteilung quantitativ erfasst und miteinander verglichen. Nicht mehr einzelne Faktoren, sondern die Wirkung häufig beobachteter Kombinationen aus mehreren sich ändernden Umweltfaktoren steht im Mittelpunkt des Interesses. Für die Wissenschaftler stellen sich Fragen im Hinblick auf die sich verändernde Umwelt im Südlichen Ozean und ihre Auswirkungen auf die marine Biosphäre sowie Rückkopplungseffekte auf das globale Klima bezüglich der Sauerstoff-Produktion und Kohlenstoffdioxid (CO2)-Aufnahme.

Zwar existieren bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die Entschlüsselung der ökologischen Komplexität steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Beispiele hierfür sind kombinierte Auswirkungen durch Ozonloch und Meereisausdehnung, die das marine Ökosystem vor der UV-Strahlung schützt oder die Wechselwirkungen zwischen Nährstoffverfügbarkeit, CO2-Gehalt und Wachstum des Phytoplanktons. Phänomene dieser Art müssen zunächst beziffert werden, bevor der Einfluss des Klimawandels auf das Ökosystem beurteilt werden kann.

Die internationale Gemeinschaft der Antarktisforscher ist über das Wissenschaftliche Komitee für Antarktisforschung (Scientific Committee on Antarctic Research – SCAR) verbunden. Im Rahmen der Arbeit von SCAR haben führende Meeresökologen und Physiker aus zehn Ländern diese Fragen aufgegriffen, um einen entscheidenden Schritt nach vorn in Richtung einer quantitativen Bewertung der ökologisch relevanten Umweltveränderungen und deren Auswirkungen auf das Ökosystem Südlicher Ozean zu machen.

Prof. Julian Gutt vom Alfred-Wegener-Institut berichtet über die Forschung im Südlichen Ozean, die Einflüsse des Klimawandels und mögliche Auswirkungen auf den europäischen Raum.

In Ihrer Forschung betrachten Sie multiple Stressfaktoren, d.h. Umwelteinflüsse. Welche sind das?
Ozeanische Erwärmung, Veränderung der Meereisdynamik, Schrumpfen des Schelfeises, Ozonloch in Kombination mit Meereisausdehnung, Einflüsse strandender und driftender Eisberge sowie Ozeanversauerung.

Welche Ergebnisse haben die Forschungen im Südlichen Ozean bisher gebracht?
Es gibt große Fortschritte in einer Vielzahl und Vielfalt an Einzelergebnissen dazu, wie sich die Umwelt verändert und wie einzelne Arten mit einzelnen Lebensäußerungen reagieren. Ganzheitliche Ansätze sind selten. Einige ökologische Schlüsselarten reagieren bereits auf Umweltänderungen, andere sind bisherigen Änderungen gegenüber tolerant, von den meisten Arten weiß man gar nichts.

Können Sie stellvertretend Beispiele nennen, welche Regionen durch welche Faktoren beeinflusst werden?
Unter Klimastress steht das Gebiet an der Antarktischen Halbinsel, dem Landzipfel des Kontinents, der am weitesten nach Norden ragt und in Richtung Südamerika zeigt sowie im Südwesten angrenzende Gebiete. Dort erwärmen sich Meer und Luft mit Auswirkungen auf das Eis und als Folge dessen auf die Lebewelt. Eine Verschiebung der Wassermassengrenze am nördlichen Rand des Südlichen Ozeans führt zu einer Ausbreitung wärmeliebender Arten nach Süden, mit anderen Worten, der Südliche Ozean als Lebensraum schrumpft.

Sie untersuchen nicht nur einzelne Arten, sondern die Reaktion auf Umwelteinflüsse ganzer Tier- und Pflanzengesellschaften. Warum ist das von besonderer Wichtigkeit?
Was interessiert uns denn wirklich an solchen Arten in der Antarktis? Es geht doch um Fragen wie: Wie verändern sich die Artenzahlen und deren Zusammensetzung im globalen Zusammenhang? Welche Ökosystemdienstleistungen ändern sich, dazu rechnet man Ausbeutung, Nahrung für andere Tiere, Recycling von Nährstoffen, Sauerstoff-Produktion und CO2-Aufnahme. Für die Beantwortung dieser Fragen müssen wir das Ökosystem als Ganzes verstehen, oder zumindest ökologische Schlüsselarten in ihrem Umfeld, geprägt z.B. von Futterangebot und Konkurrenten, untersuchen.

Wie beurteilen Sie die Einflüsse des Klimawandels auf die Antarktis? Ist es 5 vor 12?
Wenn auch Ausbeutung als Stressor betrachtet wird, ist es bei einzelnen Walen wohl schon Viertel nach 12, wir wissen nicht, ob sie sich überhaupt richtig erholen werden, für einige Fische ist es 5 nach 12, die Bestände sind stark überfischt, für den Krill ist es 12 Uhr, die nächsten Jahre werden entscheidend sein; für viele andere Arten ist es erst 5 vor 12 oder auch noch davor.

Welche Initiativen müssen ergriffen werden, um die negativen Veränderungen zu verlangsamen oder zu stoppen?
Reduzierung des globalen CO2-Ausstoßes und keine weiteren Treibhausgase, das könnte Schädigung durch Klimawandel nachhaltig heilen. Solange dies kurzfristig nicht möglich ist, sollte man Meeresgebiete vor Fischereieinfluss schützen, um zusätzliche vermeidbare Schädigungen einzuschränken.

Wie bilden Sie Ihre Ergebnisse ab bzw. wie sind diese verfügbar?
Wir "tanzen auf allen Hochzeiten". Ergebnisse werden in öffentlich verfügbare Datenbanken abgelegt und wissenschaftlich veröffentlicht, wir bringen uns in Natur- und  Umweltschutzprojekte ein, wir betreiben intensive Öffentlichkeitsarbeit und sind international sehr gut vernetzt; ich selber stehe aber noch vor der Herausforderung, mich in den "sozialen Netzwerken" zu engagieren, der Tag hat nun mal nur 24 Stunden.

Wie muss man sich Ihre Forschungsmethoden vorstellen?
Sammeln von Tieren und Pflanzen, Experimentieren im Ökosystem und im Labor, Computeranalysen sowie -simulationen und das Ganze in interdisziplinärer Vernetzung.

Aus unserer mitteleuropäischen Sicht ist der Südliche Ozean weit entfernt. Inwieweit betreffen uns die Ergebnisse trotzdem?
Wenn wir uns für den Zustand unserer globalen marinen Biosphäre interessieren, muss der große Südliche Ozean mit berücksichtigt werden. Das gilt für Biodiversitätsfragen, weil viele Arten nur dort vorkommen. Würden diese dort aussterben sind sie für die ganze Erde verloren. Die Ökosystemdienstleistungen, wie O2-Produktion und CO2-Aufnahme haben für alle globalen Kreisläufe Bedeutung, nur die Fischerei spielt keine Rolle, wohl aber das Potenzial genetischer Information. Außerdem verbindet der Südliche Ozean alle anderen Ozeane miteinander, einschließlich des Atlantiks, dessen Anrainer wir schließlich sind.

Welche wissenschaftlichen Projekte sind für die Zukunft geplant?
Wir haben gute wissenschaftliche Programme, die wir weiterentwickeln. Wir werden weiter sammeln, messen und beobachten, aber alle Untersuchungen, die das Verständnis für das Funktionieren von marinen Ökosysteme verbessern, gewinnen derzeit an Bedeutung Das könnte man unter der übergreifenden Zukunftsfrage zusammenfassen: wo sind die Beschleuniger und Bremsen in biologischen Prozessen, wie wirksam sind die und was sind die Konsequenzen?

Zeigen sich Auswirkungen des Klimawandels auch im Nordpolarmeer?Und wenn ja wo gibt es Unterschiede/Gemeinsamkeiten?
Ja, die Veränderungen in der Arktis sind im Moment viel deutlicher, aber wir wissen für die Antarktis nicht, wo Schwellenwerte für die marin-biologischen Systeme liegen bei denen sie plötzlich in einen ganz anderen Zustand kippen.

Fließen Ihre Ergebnisse in den Bericht des Weltklimarates (IPCC) ein?
Die Sichtbarkeit des Südlichen Ozeans hat bei den vergangenen IPCC-Berichten stark zugenommen. SCAR ist heute die entscheidende internationale Instanz, die wissenschaftliche Ergebnisse und Erfahrungen für angewandte Fragen zur Verfügung stellt; wir bleiben am Ball.

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