Eiskeile sind ein bekanntes und weit verbreitetes Phänomen arktischer Permafrost-Landschaften, welche durch das tiefe Gefrieren und Aufreißen der Böden im Winter entstehen. Mit der Schneeschmelze im Frühjahr dringt Schmelzwasser in die Risse und gefriert dort im Permafrost. Über Jahrtausende bilden sich keilförmige, massive Eiskörper an diesen Stellen, die mehrere Meter breit und in extremen Fällen mehrere Meter tief sein können. Dabei kommen sie nicht einzeln vor, sondern bilden regelmäßige Netzwerke. Aus der Vogelperspektive betrachtet fügen sich die Eiskeile in regelmäßigen Mustern zusammen, die Trockenrissen in einem ausgetrockneten Tümpel ähneln. Wissenschaftler sprechen hier von Eiskeil-Polygonen. In den tiefer liegenden Zentren dieser Polygone befinden sich unterschiedliche Permafrost-Ablagerungen, die im Sommer oft durch flache Wasserkörper bedeckt sind. Die Begrenzung dieser kleinen Tümpel wird auf natürlich Weise durch die Eiskeilnetze und die während ihres Wachstums aufgestauchten Bodenschichten gebildet. In den flachen Tiefländern der arktischen Permafrostgebiete dominieren diese Polygonmuster das saisonale Abflussregime für Schmelzwasser und die biochemischen Prozesse in der dünnen Auftauschicht. Hier finden auch mikrobielle Prozesse zur Kohlenstoffumsetzung statt und die Treibhausgase Methan und Kohlendioxid werden in Abhängigkeit der Bodenfeuchte erzeugt. Nun haben Wissenschaftler in einem Artikel der Fachzeitschrift Nature Geoscience anhand von Satellitenbildern, hochauflösenden Luftbild-Auswertungen und Feldmessungen nachgewiesen, dass die Eiskeilnetze fast überall in der Arktis im Zuge des rezenten Klimawandels verstärkt schmelzen.

"Wir kombinieren Beobachtungen aus Expeditionen in die Arktis - Russland, Kanada und Alaska - wo wir immer die gleichen Phänomene schmelzender Eiskeile sahen" sagt Dr. Anna Liljedahl (University Alaska Fairbanks), Erstautorin der Studie.
Direkt über den Eiskeilen senken sich Tröge mit Schmelzwasser ein, die sich zunehmend miteinander verbinden und im fortgeschrittenen Stadium ein effizientes Drainagesystem bilden. Gleichzeitig entwickeln sich die Zentren der Eiskeil-Polygone von tiefliegenden Senken zu Erhebungen. Die Folge beider Prozesse ist eine dramatische Änderung des hydrologischen Systems.
"Was auch immer gerade passiert, gab es zumindest in den letzten 60 Jahren in der Arktis bisher noch nicht", sagt Prof. Vladimir Romanovsky von der University Alaska Fairbanks.

Tundra verliert große Feuchtigkeitsflächen

Während zu Beginn des Prozesses viele neue Schmelztümpel über den Eiskeilen entstehen, wird die Vernetzung dieser Tümpel mit anhaltendem Permafrosttauen immer besser und Oberflächenwasser wird effektiv abgeführt. Es entwickelt sich ein neues Drainagesystem. Betroffene Gebiete der arktischen Tundra verlieren große Feuchtgebietsflächen, die zuvor während der Sommers durch Wasser bedeckt wurden - mit bedeutenden Konsequenzen für die zukünftige biochemische Entwicklung der terrestrischen Arktis.

Ko-Autorin der Studie Dr. Julia Boike (AWI) erklärt die Auswirkungen auf die hydrologische Situation: "In der polygonalen Tundra sind die Eiskeilpolygone mit ihren Tümpeln 'hotspots' für biologische Prozesse, und die Verdunstung. Der hydrologische Austausch über Oberflächen oder Grundwasser ist stark eingeschränkt. Aufgrund der flachen Topographie dieser Feuchtgebiete ist der vertikale Austausch über Verdunstung und Niederschlag in der Wasserbilanz größer als der laterale Abfluss. Durch das Auftauen der Eiskeile nimmt die Verbundenheit des Entwässerungsnetzwerkes (drainage network) zu. Die hydrologischen Simulationen zeigen, dass durch die Degradation der Eiskeile, das Absacken der Oberfläche und die Veränderung des 'drainage networks' die Wasserbilanz ändert, insbesondere dass der laterale Abfluss zunimmt. Somit wird der Feuchtezustand dieser Tundraregion auch maßgeblich über kleinskalige Prozesse, wie z.B. Eiskeildegradation, gesteuert."

Laut Prof. Guido Grosse (AWI) führen die derzeit ablaufenden Veränderungen der Permafrostlandschaft zu Wechselwirkungen mit der Produktion klimawirksamer Treibhausgase: "Die saisonale Hydrologie in den arktischen Tundraregionen hat einen großen Einfluss auf die mikrobiellen Prozesse und Entstehung von Treibhausgasen in der sommerlichen Auftauschicht. Basierend auf unseren Beobachtungen können wir voraussagen, dass schon diese frühe und sehr flache Form des Permafrosttauens zu starken hydrologischen Veränderungen über sehr große Regionen hinweg führen wird." Wie sich diese Veränderungen konkret auf den Kohlenstoffhaushalt der Region und möglicherweise auch global  auswirken, darüber kann laut Grosse zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. "Es wird Regionen geben, die vorerst mehr Methan produzieren, weil sie feuchter werden, in anderen Regionen dürfte es genau umgekehrt sein", sagt Grosse.

Quellen

 Liljedahl, A.K., Boike, J., Daanen, R.P, Fedorov, A.N., Frost, G.V., Grosse, G., Hinzman, L.D. Iijima, Y.,Jorgenson, J.C. Matveyeva, N., Russian Academy of Sciences, Necsoiu, M., Raynolds, M.K., Schulla, J., Tape, K.D., Walker, D.A., Wilson, C., Yabuki, H. and Zona, D. (2016): Pan-Arctic ice-wedge degradation in warming permafrost and influence on tundra hydrology, Nature Geoscience, DOI: 10.1038/ngeo2674

Weiterführende Informationen

 Das Forscherleben in Alaska, Podcast mit Prof. Guido Grosse, Alfred-Wegener Institut (AWI)
 Da Taut sich was zusammen (Artikel der Helmholtz-Gemeinschaft)

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