Unsere vielleicht einzige Zukunftsoption für eine Wärmeversorgung ohne klimaschädliches Kohlendioxid ruht in der Tiefe. Was wir dringend benötigen, ist eine Wahrnehmung der vorhandenen heimischen Potenziale und eine Akzeptanz, dass Geothermie eine umweltfreundliche Option der zukünftigen Energieversorgung ist. Prof. Dr. Ernst Huenges spricht im Interview über diese Potenziale. Er leitet das Internationale Geothermiezentrum (ICGR) und die Sektion Geothermische Energiesysteme am Deutschen GeoForschungsZentrum. Seit mehr als 30 Jahren befasst sich der international angesehene Experte mit der Reservoircharakterisierung, Transportprozessen in der Erde und dem Reservoir-Engineering untertägiger Reservoire. Ziel ist deren Nutzung für eine effiziente Wärme- und Strombereitstellung.


1. Prof. Dr. Huenges, wie unterscheidet sich das Potenzial für die Nutzung von Geothermie zwischen Deutschland und einem Land wie beispielsweise Neuseeland, wo es ganz andere natürliche Voraussetzungen gibt?

Huenges: Temperaturen über 100 °C werden in mehreren Gebieten in Neuseeland in weniger als 1 km Tiefe angetroffen. In Deutschland muss man dazu etwa 4 km in die Tiefe gehen. Das liegt an der geologischen Situation in Neuseeland mit erhöhtem Wärmefluss gegenüber Deutschland, in dem es keine aktiven Vulkane gibt. Eine geothermische Lagerstätte wird neben der Temperatur durch die Verfügbarkeit von Wasser gekennzeichnet. In Neuseeland gibt es Reservoire mit Dampf-Wasser-Gemischen. Im Untergrund in Deutschland trifft man in verschiedenen Tiefen wasserführende Schichten, die damit bei vorhandener Wegsamkeit geeignete Wärmequellen bereithalten. Das Potenzial ist schwer zu bestimmen, aber man geht davon aus, dass technisch ca. 10 % unseres Energiebedarfs nachhaltig bzw. geothermisch regenerativ gedeckt werden kann.


2. Wo sehen Sie Deutschland bei der Nutzung von Geothermie momentan?

Huenges: Das sehr große Potenzial der Geothermie ist noch nicht annähernd genutzt. Insbesondere wird die Grundlastfähigkeit (Fähigkeit zur konstanten Lieferung von Energie, Anm. der Red.) der Geothermie noch nicht angewendet. Mit Wärme aus oberflächennahen Quellen werden schon mehrere Gigawatt bereitgestellt, während tiefe Geothermie noch weit von 1 Gigawatt entfernt ist. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat eine moderate Markteinführung der Geothermischen Stromerzeugung in Deutschland mit mehreren 10er Megawatt ermöglicht. Dennoch herrscht auf dem Gebiet der Tiefengeothermie Forschungsbedarf, da die entsprechenden Technologien noch nicht planungssicher eingesetzt werden können.


3. In Berlin wird zu 99 Prozent fossil geheizt. Zumindest die Ballungszentren in Deutschland sind momentan noch weit von klimaverträglichen Heizformen entfernt. Welche konkreten Überlegungen und Untersuchungen müssten in einer Großstadt wie Berlin zunächst erfolgen?

Huenges: Eine Großstadt wie Berlin muss sich zunächst den lokal verfügbaren Wärmequellen widmen. Dazu gehört insbesondere die Tiefengeothermie, weil die Nutzung auf eine Punktquelle, sprich Bohrung, zurückgreift, so dass der Flächenbedarf sehr gering ist. Die Quelle ist lokal verfügbar, so dass nur der Anschluss zum Heiznetz erfolgen muss. Weitere Transporte durch die Stadt werden nicht benötigt.

Die Aufgabe ist es, zunächst ein Erschließungskonzept zu starten. Dazu sind Erkundungsbohrungen und geophysikalische Untergrunduntersuchungen erforderlich. Dann müssen vorwettbewerbliche Demonstrationsprojekte entwickelt werden, die aufgrund der schwer vorhersehbaren Fündigkeit mit hohen Risiken behaftet sind.


4. Gibt es Besonderheiten, die bei Explorationsprojekten in der Nähe von/in Großstädten zu beachten sind? Was sind die Hürden?

Huenges: Innerstädtische Exploration erfordert einerseits Mess-Technologien, die wegen vorhandener Bebauung auf geringem Platz realisiert werden können. Dann muss man sich dem Rauschen der Großstadt stellen. Magneto-Elektrische Sondierungen sind daher weitgehend ungeeignet und seismische Methoden sind nur mit großem Aufwand realisierbar. Dann muss die Bevölkerung mitgenommen werden, da sich erfahrungsgemäß schnell Widerstände aufbauen können, obwohl zumeist Befürchtungen beispielsweise wegen des Risikos von Gebäudeschäden unbegründet sind. 


5. Was sind die wichtigsten potenziellen Umweltauswirkungen?

Huenges: Generell müssen Bohrungen abgeteuft werden, die selber einen Eingriff in die Umwelt bedeuten. Bei sachgemäßer Durchführung sind Bohrungen sicher für die Umwelt machbar. Ab 100 m Bohrtiefe gilt das bergrechtliche Verfahren mit wohl geprüften Betriebsplänen, die diese Gewährleistung einfordert. 

Oberflächennahe/mitteltiefe Geothermie (Wärmeversorgung):
Bei Bohrungen mit weniger als 100 m Tiefe, in denen entgegen guter Praxis nicht ausreichend Tiefenhorizonte voneinander durch gut zementierte Verrohrungen getrennt wurden, ist es in einem Fall zu massiven Schäden an der Erdoberfläche gekommen. Das ist jedoch eine nicht endschuldbare Ausführung von Arbeiten gewesen, was bei Einhaltung von Qualitätskriterien nicht passiert. Weitere Umwelteffekte liegen bei starker Auskühlung des Untergrundes durch zu intensive Nutzung. Dagegen existiert gerade unter Großstädten eine durch das Großstadtleben bedingte zunehmende Erwärmung, die durch oberflächennahe Nutzung gemildert werden kann.

Tiefengeothermie:
Es existieren Sorgen im Zusammenhang mit der Nutzung des Untergrundes hinsichtlich seismischer Erschütterungen und sicherer Trinkwassergewinnung. Hier sind genaue Analysen gefordert, die dazu beitragen können, dass die Nutzung auch sicher für die Umwelt erfolgen kann. So kann an den meisten Standorten eine sichere Erschließung beispielsweise mit Anwendung sanfter Stimulationsverfahren gewährleistet werden. Wissenschaftlich begleitete Demonstrationsprojekte können zur Versachlichung der Diskussion beitragen und fundierte Bedenken ausräumen.


6. Welche Regionen haben in Deutschland das größte Potential? Jeweils für Strom- bzw. Wärmeerzeugung mit Geothermie? Wenn ja, warum diese Regionen?

Huenges: Generell nimmt die Temperatur überall mit der Tiefe zu. In manchen Gebieten, beispielsweise im Norddeutschen Becken wegen der vielen wasserführenden Schichten, im bayrischen Molassebecken wegen des weit verbreiteten Malmkarst oder auch im Oberrheinthalgraben wegen der tektonisch bedingten Kluftsysteme wurden besonders hohe geothermische Potenziale geortet. Stromerzeugung macht erst ab Temperaturen wesentlich über 100 °C und der entsprechenden Tiefenstufe Sinn.


7. Welchen Beitrag könnte Geothermie hier in Deutschland bei der Bewältigung der Energiewende leisten, wenn das Potential der Technologie voll ausgeschöpft wird?

Huenges: Geothermische Wärmequellen sowie saisonale thermische Speicherung sind wesentliche Lösungen in Richtung einer kohlenstoffarmen nachhaltigen Wärmebereitstellung in der Zukunft.


8. Was bedeutet das für die CO2-Reduktion? Welchen Beitrag bei der CO2-Einsparung könnte Geothermie in Deutschland leisten?

Huenges: Der deutsche Wärmemarkt wird aktuell fast ausschließlich über fossile Energieträger bedient. Er macht die Hälfte unseres Gesamtenergiebedarfs aus, die andere Hälfte wird für Strom und Verkehr benötigt. Das Ziel einer Dekarbonisierung des Wärmemarktes kann nur über die Umstellung auf erneuerbare Energieträger erreicht werden. Das würde nicht nur zu einer CO2- Reduktion auf ca. 60 %, wie beim Übergang von Gas auf Kohle, führen, sondern bei einer Umstellung von Kohle auf solar-, bio- oder geothermische Wärme könnten weit unter 10 % erreicht werden. Voraussetzung dabei ist, dass die Wärmequellen innerstädtisch zur Verfügung stehen, nach Möglichkeit ohne verlustreiche lange Strecken der Wärmenetze aus Außenbezirken.

9. Wie stark wird Geothermie in Europa, beispielsweise in Italien oder Island, genutzt? Wie steht hier Deutschland im Vergleich da?
Huenges: In Italien und in Island wird um Größenordnungen mehr geothermisch Strom erzeugt als momentan in Deutschland. Island setzt übrigens in Wärmebereitstellung nahezu vollständig auf Erdwärme, beispielsweise mit 99 % geothermische Wärmeversorgung in Reykjavik.

10. Könnte ein Land wie Island die Strom- und Wärmeerzeugung fast ausschließlich mit Geothermie decken?

Huenges: Island könnte das tun, aber aus ökonomischen Gründen wird noch zum größten Teil auf Wasserkraft gesetzt. Es scheint jedoch, dass dieser Energieträger nicht weiter ausgebaut werden kann, so dass die geothermische Stromerzeugung große Zukunftsaussichten hat.

11. Zu praktischen Aspekten: Über welche Distanzen könnte Wärmeenergie maximal transportiert werden? Wo liegen die Grenzen beim Transport?

Huenges: In Island wurden schon Wärmetrassen bis 60 km Länge realisiert. In Deutschland sollte man wegen der Leitungsführung in dichterer Besiedlung eher kürzere Distanzen anvisieren.

12. Welchen Voraussetzungen müssen für eine Versorgung mit Strom- bzw. Wärmeversorgung aus Geothermie erfüllt sein. Wie unterscheiden diese Voraussetzungen sich?

Huenges: Prinzipiell sind die Quellenanlagen für Strom und Wärme gleich. Der Unterschied ist nur bedingt durch den Bedarf an höherer Temperatur und damit größerer Erschließungstiefe für den Strom. Die Technologie zur Nutzung der Tiefen Geothermie erfordert in der Regel mindestens eine Förder- und eine Schluckbohrung, die bedarfsgerecht Energie mit ausreichender Temperatur aus einer tiefen Erdwärmelagerstätte erschließt. Der Thermalwasser-Kreislauf wird übertage geschlossen, die Energie wird an den jeweiligen Abnehmer weitergegeben und das abgekühlte Wasser nach seiner Nutzung über die Schluckbohrung in die Lagerstätte zurückgeführt.


13. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Hürden, damit Geothermie in Deutschland einen noch größeren Stellenwert bekommt? Wo wünschten Sie sich mehr Unterstützung?

Huenges: Geothermie als neue Technologie unterliegt der Skepsis, welche gerne dem Neuen entgegen gebracht wird. Daher sind an vielen Orten größere Demonstrationsanlagen notwendig, so dass sich jeder ein richtiges Bild machen kann. Da wo Geothermie im größeren Rahmen umgesetzt wurde, wie beispielsweise in der Umgebung von München überzeugen die vorhandenen Anlagen derart, dass allgemein die Umstellung besonders auf geothermische Wärmebereitstellung von vielen Leuten explizit gewünscht wird.

14. Wird die Technologie in Deutschland richtig wahrgenommen? Woran liegt es, dass es eventuell Probleme bei der Akzeptanz von Geothermie gibt?

Huenges: Was wir dringend benötigen, ist eine Wahrnehmung der vorhandenen heimischen Potenziale und eine Akzeptanz, dass Geothermie eine umweltfreundliche Option der zukünftigen Energieversorgung ist. Daraus ergibt sich der Bedarf einer fundierten Strategie der innerstädtischen Erkundung und Erschließung für die gegebenen Nutzungsoptionen. Leider können behördlich erzeugte Hemmnisse und unsachlich geführte öffentliche Debatten zu einer Entwicklung führen, die uns dieser wichtigen und vielleicht einzigen Zukunftsoption einer dekarbonisierten Wärmeversorgung beraubt.

15. Welche Fragen tauchen in der öffentlichen Diskussion regelmäßig auf und was sagt die Wissenschaft dazu?

Huenges: Neben dem Wissensbedarf in fachlicher Hinsicht tauchen auch Fragen auf, warum wir denn gerade Experimente und Untersuchungen zur Nutzbarkeit der Geothermie an Orten durchführen, wo Menschen wohnen. Man will wissen, ob man den Hinterhof auslassen kann, dann würde auch die Akzeptanz steigen. Wegen der fehlenden planungssicheren Übertragbarkeit der Kenntnisse zum Nutzungsreservoir kann natürlich die Erkundung nicht anderswo gemacht werden. Ferner muss dargestellt werden, dass der Vorteil einer heimischen Wertschöpfung genau für die Hinterhofbesitzer entstehen kann. Das kann nur erreicht werden, wenn die Energiequellen ortsscharf ausreichend erkundet und erschlossen wird. Die möglichen Risiken müssen natürlich auch dargelegt werden und im Kontext aller anderen denkbaren Gefährdungen, wie beispielsweise Straßenverkehr, beurteilt werden.

Video-Beitrag: "Wie groß ist das Potential der Erdwärme?" Antworten auf diese Frage gibt das Landesforschungszentrum Geothermie (LFZG) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in diesem anschaulichen Video.

Weiterführende Informationen

 Die Direktorin des Departments Geotechnologien am GFZ, Prof. Dr. Scheck-Wenderoth, im aktuellen Helmholtz-Perspektiven Portrait. Mit ihren Untergrundmodellen (Sedimentbeckenmodellierung), die unter anderen Grundwasserströmungen simulieren, ermöglicht sie die verstärkte Nutzung von Erdwärme. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, die in Sedimentbecken enthaltenen fossilen und erneuerbaren Geo-Energie-Ressourcen nachhaltig zu erschließen. Link

 Alle aktuellen Projekte der Sektion "Geothermische Energiesysteme" am Deutschen GeoForschungsZentrum. Link

 Saisonale Energiespeicherung in Aquiferen für Stadtquartiere: Bei der Nutzung von Aquiferen zur Speicherung thermischer Energie wird die thermische Speicherfähigkeit des Grundwassers sowie des wasserführenden Gesteins genutzt. Die Forschungsbohrung fand auf dem Campus Charlottenburg der Technischen Universität Berlin statt. Ziel ist u.a. die betriebssichere Einbindung von Aquiferspeichern und die Entwicklung eines saisonalen Energiespeicherkonzeptes für die Technische Universität Berlin und die Universität der Künste. Link

 Der Forschungsstandort Groß Schönebeck: Erschließung eines tiefen geothermischen Reservoirs zur Stromerzeugung im Norddeutschen Becken. Link

 Der Newsletter des Internationalen Geothermiezentrum ICGR stellt aktuelle Forschungsprojekte und -ergebnisse vor und informiert über neueste Publikationen und anstehende Veranstaltungen. Link

 

Das Interview führten Oliver Jorzik (ESKP) und Jana Kandarr (ESKP).

DOI
https://doi.org/10.48440/eskp.061

Veröffentlicht: 21. Januar 2017, 4. Jahrgang

Zitierhinweis: Huenges, E., Jorzik. O. & Kandarr, J. (2017, 21 Januar). Geothermie in deutschen Großstädten. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 4. doi:10.48440/eskp.061

Text, Fotos und Grafiken soweit nicht andere Lizenzen betroffen: eskp.de | CC BY 4.0
eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft